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Prolog
Louisiana, 1842
Unter den Augen des erfahrenen, zufrieden zuschauenden alten Stallburschen lenkte der schlanke dunkelhaarige Junge den schwarzen Vollbluthengst geschickt durch den Pferch bei der Windown-Plantage. Mit dreizehn Jahren war Clay Cordeil noch recht schmächtig, handhabte den Rappen jedoch wie ein routinierter, ihn mit leichter Hand führender Reiter. Nachdem er alle Übungen mit dem Tier gemacht hatte, ließ er es, damit es sich abkühlen konnte, im Schritt gehen und lobte es, weil es so fügsam und gelehrig war.
„Du bist ein guter Junge, Raven", sagte er, tätschelte ihm den Hals und war sehr von den Fortschritten angetan, den der von ihm zugerittene Zweijährige machte. „Was meinst du, Abe? Hat er das Zeug zu einem Rennpferd?"
Der alte Schwarze war stolz auf die vom jungen Herrn erbrachte Leistung. „Ja, das glaube ich, Master Clay", antwortete er schmunzelnd. „Raven geht vorzüglich unter dem Sattel. Sie schulen ihn hervorragend, Sir."
„Danke", erwiderte Clay strahlend. Da Abraham mit Lob stets sehr sparsam umging, freute er sich besonders über dessen Anerkennung. Außer dem Vater gab es niemanden, dessen Ansichten er mehr respektierte.
„Machen Sie weiter so! Dann ist Raven sehr bald für die Rennbahn geeignet."
„Wirklich?" fragte Clay eifrig.
Abraham nickte, setzte eine ernste Miene auf und antwortete trocken: „Aber das heißt keinesfalls, dass Sie, Sir, ihn beim Rennen reiten können, denn der Turf ist kein Ort für junge Leute."
„Ich weiß", murmelte Clay ernüchtert.
„Gut, vergessen Sie es nicht", sagte Abraham ruhig und öffnete das Gatter, damit der Junge den Pferch verlassen konnte. „So, und nun bringen Sie Raven in seinen Unterstand und versorgen Sie ihn."
Clay nickte, ritt zum Stall und saß ab. Nachdem er den Hengst abgesattelt und in seine Box gebracht hatte, dachte er, während er ihn abrieb, daran, dass er sich, seit er sich erinnern konnte, nichts mehr wünschte, als an Pferderennen teilnehmen zu können. Da der Vater das wusste, hatte er, wenngleich nie viel Geld für unnötige Ausgaben übrig gewesen war, so viel zusammengespart, um Raven kaufen zu können. Damals hatte die Mutter sich sofort gegen diese Verschwendung verwahrt, der Vater sich jedoch zu Clays großer Erleichterung über ihre Einwände hinweggesetzt.
Clay hatte bereits fest umrissene Vorstellungen von der Zukunft und sich geschworen, den Eltern zu beweisen, dass der für den Rappen gezahlte Betrag nicht vergeudet war. Bei Pferderennen wurden hohe Siegprämien ausgesetzt, so dass er hoffte, eines Tages mit Raven an ihnen teilnehmen, als Erster durchs Ziel zu gehen und auf diese Weise reich werden zu können. Und wenn der Hengst dann nicht mehr für Rennen tauglich war, konnte er zum Decken eingesetzt und zum Stammvater einer Reihe hervorragender, auf dem eigenen Gestüt gezogener Nachkommen werden. In ganz Louisiana würde man dann voller Anerkennung über diese Pferde reden und er, Clay, ein gemachter Mann sein.
Nachdem er Raven versorgt hatte und im Begriff war, den Stall zu verlassen, bemerkte er eine die Allee heraufkommende Kutsche. Es freute ihn, dass die Mutter von ihrem dreitägigen Einkaufsbummel in New Orleans zurück war, und er konnte es kaum erwarten, sie wieder zu sehen. Die frühe Reife, die er im Umgang mit dem Rappen gezeigt hatte, fiel von ihm ab, derweil er aufgeregt zum Herrenhaus rannte.
Er vergötterte die Mutter, liebte sie von ganzem Herzen und war glücklich, nach der Trennung wieder mit ihr vereint zu sein, weil er fand, sie sei die freundlichste, liebevollste und schönste Frau auf Erden. Im letzten Punkt stimmte der größte Teil der örtlichen Gesellschaft mit ihm überein, aber nicht, was die charakterliche Einschätzung der Mutter betraf. Da er sie mit den Augen des gehorsamen, verehrungsvollen Sohnes sah und ohnehin noch zu jung war, konnte er nicht erkennen, dass sie auch andere Wesenszüge hatte und sich hinter der Fassade der Müttlerlichkeit ein anderes Naturell verbarg.
Evaline Cordell war eine schwarzhaarige Schönheit mit makellosem Teint, eindrucksvollen grauen Augen und jugendlich straffer Figur. Voller Verachtung und Abscheu blickte sie, während die Kutsche sich dem Herrenhaus näherte, aus dem Fenster und fand, es sei zwar ein ansehnliches einstöckiges Gebäude, aber nicht das Heim, in dem sie gern gelebt hätte. Sicher, der Bau als solcher machte einen gewissen Eindruck, doch der abblätternde Anstrich zeugte deutlich von den
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