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Die Nibelungen neu erzählt

Die Nibelungen neu erzählt

Titel: Die Nibelungen neu erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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möglich, daß ein anderer Mensch auf dieser Welt weiter springt«, rief sie und gab gleich ihren Männern Befehl: »Macht euch bereit! Sobald mein Sieg feststeht, enthauptet sie!«
    »Sie hat recht«, flüsterte Siegfried Gunther zu. »Kein Mensch kann in dieser schweren Rüstung weiter springen. Nicht einmal ohne Rüstung könnte ich so weit springen.«
    »Ihr«, flüsterte Gunther voll Entsetzen, »nicht einmal Ihr?«
    »Nein, nicht einmal ich.«
    Die schwere Weitsprungrüstung wurde Gunther vor die Füße geworfen, und als er sie angezogen hatte, war ihm, als könne er drin nicht einmal richtig gehen, an Springen nicht zu denken.
    »Wie macht sie das nur?« fragte er den unsichtbaren Siegfried.
    »Sie macht es eben«, sagte der. »Sie macht es und nimmt uns damit das Leben.«
    »Denkt nach!« flehte Gunther. »Ohne Eure Hilfe sind wir alle verloren!«
    »Ich denke ja nach!« entgegnete Siegfried gereizt. »Ich denke die ganze Zeit über Eure Angelegenheiten nach!«
    Da wurde Signal gegeben. Gunther sollte Anlauf nehmen. Jetzt wurde er ungeduldig und auch ungerecht.
    »Ihr müßt eine Lösung finden!« zischte Gunther und wurde nun gar böse. »Euch verdanken wir schließlich all diesen Ärger! Wenn Ihr nicht nach Worms gekommen wäret, wäre unser Leben weitergegangen wie bisher! Laßt Euch also gefälligst etwas einfallen!«
    »Ihr sprecht nicht gut mit mir«, sagte Siegfried.
    »Wie soll ich sonst mit Euch sprechen! Sie werden uns die Köpfe abschlagen. Euch nicht, Euch natürlich nicht, Euch können sie ja nicht sehen!«
    »Seid still!« gebot ihm Siegfried. »Ich werde Euch tragen!«
    Und ohne weiter auf Gunther zu achten, auch ohne darauf zu achten, wie das aussehen mochte, hob er Gunther hoch und trug ihn über eine lange Strecke, dann warf er ihn in den Sand.
    »Ich hoffe, es hat einigermaßen ausgesehen, als ob Ihr gesprungen wäret«, sagte er.
    Ganz gleich, wie es ausgesehen hatte – in den Statuten wurde Springen definiert als In-der-Luft-Sein, und in der Luft war Gunther ohne Zweifel gewesen. Also blieb Brünhild nichts anderes übrig, als den Sieg auch in der dritten Disziplin dem Gunther zuzuerkennen.
    Und damit war besiegelt: Brünhild war Gunthers Frau. Sie würde Island verlassen und ihm ins Land der Burgunden, nach Worms, nachfolgen.
    »Mit rechten Dingen ist das nicht zugegangen«, tuschelten Gunthers Leute zu Hagen.
    »Wenn es mit rechten Dingen zugegangen wäre«, tuschelte der zurück, »dann wären wir jetzt alle einen Kopf kürzer. Zumindest in diesem Fall sind mir die unrechten Dinge lieber.«
    Die anderen sahen es durchaus nicht unähnlich.

Hochzeitsnächte
     
    Nun wurde also die Doppelhochzeit gefeiert, genauso wie es Gunther in seinem Überschwang angekündigt hatte: Siegfried heiratete Kriemhild, und Gunther heiratete Brünhild.
    Siegfried und Kriemhild liebten sich von Herzen, lange hatten sie auf diese Stunden gehofft und gewartet. Und es gibt nichts Schöneres, als sich zu lieben und zu erzählen und sich wieder zu lieben und dann weiterzuerzählen.
    Und so machten sie es.
    Siegfried erzählte Kriemhild sein ganzes Leben, nichts ließ er aus, kein Geheimnis wollte er vor seiner Frau haben. Er erzählte ihr, wie er bei Mime, dem Schmied, gewesen war, wie er dieses feine Netz geschmiedet hatte, erzählte vom Drachenkampf, er gab ihr seinen Dolch und sagte: »Schau, versuch mich in die Haut zu ritzen, versuch es doch!«
    Sie sagte: »Nein, das will ich nicht. Ich will dich doch nicht verletzen.«
    »Nein«, sagte er, »tu es, versuch es!«
    Sie, zaghaft, versuchte, ihn in die Haut zu ritzen. Aber sie merkte bald, das ging nicht. Da wandte sie ein bißchen mehr Kraft an, aber es gelang ihr wieder nicht. Nicht einen winzigen Kratzer konnte sie der Haut ihres Mannes zufügen. Mit aller Kraft mühte sie sich nun ab, ihn zu verletzen. Es gelang ihr nicht.
    Er lachte nur und sagte: »Es kann dir nicht gelingen!
    Es kann niemandem gelingen! Das Fett des Drachen hat mich unverwundbar gemacht.«
    Kriemhild erinnerte sich an ihren Traum, an den schönen Falken in ihrem Traum erinnerte sie sich, und sie erzählte Siegfried davon.
    »Es war doch nur ein Traum«, sagte er. »Und wegen dieses dummen Traums wolltest du auf ewig keinen Mann haben?«
    »Ach«, seufzte sie, »es war ein Traum! Du hast recht. Was bedeutet schon ein Traum? Ich habe einen Mann bekommen, der unverwundbar ist.«
    Sie küßte ihn, sie streichelte ihn. Sie streichelte ihn auch über den Rücken, da sagte sie: »Da ist ein

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