Die Nibelungen neu erzählt
Vertrauen zu mir! Rüstet ein Schiff, wählt eine Handvoll starker Männer aus. Ich werde Euch begleiten. Wir fahren nach Island, und Ihr werdet Brünhild bekommen!«
Und Gunther vertraute Siegfried. Und er tat, wie ihm dieser geheißen.
Kriemhild war voll Sorge um ihren Bruder, und sie sagte zu Siegfried: »Versprich es auch mir, daß du Gunther beschützen wirst. Achte auf ihn, als wäre sein Leben das meine.«
Siegfried versprach es.
Aber noch etwas hatte Kriemhild auf dem Herzen. »Du«, sagte sie, »du wärst der einzige Mann, dem es gelingen könnte, Brünhild zu besiegen.«
»Vielleicht«, sagte Siegfried.
Ja, das traute er sich zu.
»Sie wird dich wollen«, sagte sie.
»Vielleicht«, sagte Siegfried.
Ja, das konnte er sich vorstellen. Aber er sah darin kein Problem.
»Vielleicht wirst auch du sie wollen?« sagte Kriemhild.
»Ich will ja dich«, sagte er. »Wie soll es dann möglich sein, daß ich auf einmal sie will?«
Kriemhild blickte ihn an, und wieder wunderte sie sich, daß in einem so klugen Kopf so viel Kindlichkeit war.
»Hab Vertrauen«, sagte Siegfried. »Habt alle Vertrauen zu mir!«
Vierter Teil
Brünhild
Landung auf Island
Gunther rüstete also ein Schiff aus, die stärksten Recken begleiteten ihn nach Island. Auch Hagen von Tronje war dabei – immer noch eingeschnappt, immer noch beleidigt, bockig, still im Hintergrund, die Ich-sage-nichts-ich-bin-ja-nicht-gefragt-worden-Miene im Gesicht. Und es stimmte ja auch: Er wurde nicht gefragt. Siegfried gab die Verhaltensmaßregeln aus.
In der Nacht, bevor sie auf Island landeten, nahm Siegfried Gunther beiseite und sagte zu ihm: »Ich möchte allein mit Euch sprechen.«
Sie begaben sich auf die Reling, blickten hinaus auf die kalte, graue See.
Siegfried sagte: »Hört mir gut zu! Morgen werden wir zur Burg der Brünhild marschieren. Dann laßt uns ein Spiel spielen.«
»Ein Spiel?« fragte Gunther. »Es geht um mein Leben! Habt Ihr das vergessen?«
»Wie könnte ich das vergessen«, sagte Siegfried. »Ich werde so tun, als ob ich Euer Lehnsmann wäre. Versteht Ihr?«
»Nein.«
»Ich werde so tun, als ob ich Euer Untertan wäre. Ich werde Eure Waffen tragen, und Ihr geht mir voran.«
»Und warum?«
»Nur morgen wird es so sein. Nur morgen! Wenn wir Island verlassen, werden wir gleichberechtigt sein, wie wir es in Wahrheit sind.«
»Und warum das alles?« fragte Gunther.
»Um Euch am Leben zu halten«, sagte Siegfried.
»Und es wird Euch nicht demütigen?«
»Euren Untertan zu spielen wird mich nicht demütigen«, lachte Siegfried.
Gunther war sich der Zweideutigkeit dieses Satzes wohl bewußt.
Aber er sagte: »Was immer Ihr von mir verlangt, Siegfried.«
Als sie am nächsten Tag in die Burg einmarschierten, Gunther voran, schritt Siegfried hinter ihm drein – als sei er Gunthers Waffenträger.
Sie wurden von Brünhild empfangen. Sie sah noch herrlicher aus, als es die Helden erwartet hatten. Langes blondes Haar, das zu zwei armdicken Zöpfen geflochten war, strahlende Augen, ein Händedruck wie ein Mann.
Ernst blickte sie auf die Besucher, blickte jedem in die Augen. Beim Waffenträger allerdings verweilte sie etwas länger.
»Was wollt ihr?« fragte sie.
Hagen war bestimmt worden, die Verhandlungen zu führen.
»Das Übliche«, sagte er.
»Und wer von euch?« fragte sie.
Hagen wies auf Gunther.
»Der?« fragte sie.
Brünhild war nicht begeistert. Der da vor ihr stand, der schien ganz und gar aus Angst zu bestehen, eine bejammernswerte Figur.
»Wer ist das?« fragte sie.
»Gunther von Burgund«, stellte Hagen vor.
»Und wer ist er?« fragte Brünhild und zeigte auf Siegfried.
Schnell antwortete Siegfried: »Ich bin Gunthers Lehnsmann.«
Mit Hagen war das nicht abgesprochen. Er wollte etwas sagen, bekam aber ein Zeichen von Gunther.
Selbstverständlich war Hagen klar, daß hier eine List vorbereitet werden sollte. Das lag ja auf der Hand. Wie hätte Gunther gegen diese Brünhild in einem offenen Kampf auch gewinnen sollen! Selbstverständlich mußte zu einer List gegriffen werden. Ihm war zwar schleierhaft, was für eine List das sein könnte. Aber wie auch immer, er jedenfalls war nicht informiert worden. War wieder nicht informiert worden. Er fragte sich, warum er überhaupt zu dieser Mission mitgenommen worden war. Diese Packeleien hinter seinem Rücken verbitterten ihn nur noch mehr.
Aber Hagen war loyal genug und ließ sich weder seine Verwunderung noch seine Verbitterung vor Brünhild
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