Die niederländische Jungfrau - Roman
sondern um die Organe und Gewebe, die von normalen Menschen lieber ignoriert werden. Nur Ärzte und Kranke reden von, sagen wir mal, einer Bauchspeicheldrüse. Mein betäubter Geliebter nicht, der ließ sich ausziehen, ohne sein merkwürdiges Lächeln zu verlieren. Ich strich über seine Leisten. Wenn ich einen Stift gehabt hätte, so hätte ich notiert: eine erstaunlich weiche, aber doch feste Haut, sehr bescheidene Körperbehaarung, auch rund ums Geschlecht, das sich warm und zufrieden anfühlte wie auch der Rest des Mannes. Wenn ich jetzt wegging, konnte ich mit ihm machen, was ich wollte. Er hätte keinen Einfluß darauf, was ich über ihn erzählen würde, ich würde etwas aufbauschen, etwas verschweigen und viel romantisieren. Ich konnte aus ihm einen freundlichen Fechtmeister machen oder einen zügellosen Banditen, der mich leidenschaftlich liebte. Ich würde niemanden mit Details ermüden, es würde Punkt für Punkt ein kompakter Bericht sein, der auf die Rückseite einer Ansichtskarte paßte und sicherlich übersichtlicher wäre als das Chaos seines Landes, in Vergangenheit und Zukunft, in dem ich ihn bewußtlos zurückließ.
Sein Gesichtsausdruck war wirklich eigenartig. Vielleicht sollte ich das Licht anmachen, um zu sehen, ob er tatsächlich lächelte, aber dann würde er aufwachen, wohingegen ich mir diesen anderen Egon noch ein Weilchen anschauen wollte, nicht den Meister, der verwirrt aus Amsterdam zurückgekehrt war, sondern eine freundliche Seele, die mich durch geschlossene Augen ansah. Ich zog meinen Slip aus und setzte mich auf ihn. Sein Lächeln wurde breiter.
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Wir wurden beobachtet. Ich brauchte die Augen nicht zu öffnen, um das zu wissen. Reptilien sehen mit einem dritten Auge im Nacken, damit können sie Spannung und Wärme eines Angriffs von hinten registrieren. Ich blieb so reglos liegen wie ein Leguan auf einem warmen Stein, den Hintern im Sonnenlicht. Er sah uns also nackt. Er sah also, daß mein eines nacktes Bein um Egons Bein geschlungen war, mein Arm um seinen Rücken, sein Arm um meine Schultern, und daß wir so eingeschlafen waren. Er sah einen Mann, alt genug, mein Vater zu sein, von den Zeiten gezeichnet: die Kriegswunde an seinem Oberschenkel, das Gespinst der Pigmentflecken auf seinen Schultern, er sah die verformte Hornhaut unter den Füßen. Daneben sah er die jungfräulichen Fußsohlen des Mädchens, an das er einen Liebesbrief geschrieben hatte. Ich lief nicht gern barfuß, nicht einmal Landstreicher tun das.
Eine Weile spähte ich mit meinem Reptilienauge, bis ich hörte, wie sich mein Bewunderer aus seiner Fassungslosigkeit löste. Das ging mit einer brüsken Bewegung einher, als würde er etwas auffangen, bevor es den Boden berührte. Als ich mir sicher war, daß er sich umgedreht hatte, öffnete ich die Augen. In dem diffusen Licht sah ich seinen Rücken in der Fechtjacke, seine Faust, die böse oder erschrocken danebengegriffen hatte, jetzt aber die Tür unsanft hinter sich zuknallte. Ich glaubte, das ganze Haus erzitterte. Egon wurde in seiner üblichen Erstarrung wach und blickte sofort zu der Stelle, an der der Briefschreiberkehrtgemacht hatte. Warum ging ich davon aus, daß wir es mit dem Briefschreiber zu tun hatten? Woher konnte ich so genau wissen, daß der Schimmer, den ich gesehen hatte – mehr als ein Schimmer, Schatten, Engel war es nicht gewesen –, mir diesen Brief geschrieben hatte? Ich konnte es nicht, deshalb folgte ich ihm. Ich hob das Bettuch vom Boden auf und wickelte es um mich, vom Scheitel bis zur Sohle so stramm wie ein Panzer, denn seit das Haus erzittert war, lag eine Bedrohung in der Luft. Ich tappte durch den Flur, am kahlen Land vorbei, das mich ansah, als würde es mich hinauswerfen. Nun, das war nicht nötig, ich würde von allein gehen, sobald ich dieses Rätsel gelöst hatte. In der Diele sah ich ihn wieder. Die lose Fechtjacke flatterte hinter ihm wie ein Flügel. Auf zum Fechtsaal. Ich mußte sein Gesicht sehen, doch eine Hand mit einem Brief hielt mich zurück. Leni sagte nichts, als sie mir das Blatt zusteckte, sie stand nur da und kaute, wahrscheinlich an ihrem Frühstück. Zum Glück waren es nur ein paar Worte, die mein Vater einem Telegraphisten in Maastricht diktiert hatte: Er würde um die Mittagszeit mit dem Auto eintreffen, herzlichen Dank und freundliche Grüße. Ich nickte, Leni kehrte in die Küche zurück, immer noch kauend wie ein Messerheld, ein halber Tag noch, und ich hatte nichts mehr mit ihr zu schaffen. Aber
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