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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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einzigen Koffer sprangen aus einem hohen Benz, das Schiffchen schräg auf dem Kopf, die Hände in den Taschen ihrer Reithosen. Sie waren nicht betrunken, doch aus ihrem Gebaren sprach die Vorfreude auf den Rausch, in den sie sich drinnen stürzen würden. Das war schon kein bloßes Vorhaben mehr. Sie hatten das Recht darauf erworben, indem sie dem Unparteiischen folgten, meinem Alptraummann im Soldatenmantel. Er war der einzige, der die Hände auf dem Rücken hielt. Steif vorgebeugt wie der Stumpf eines abgestorbenen Baums, blickte er auf die rangelnden Studenten. Die lachten, er nicht. Plötzlich wandte er sich zum Küchenfenster, und ich mußte mich an der Gardine festhalten, um nicht umzukippen. Sie kamen aufs Haus zu. Latschschritt in Reitstiefeln. Der Fahrer schloß den Bus ab, mir wurde klar, daß ich Grund hatte, Angst zu haben. Der Otter war nicht dabei.
    »Vielleicht kommt er später«, sagte Heinz. Er pustete das Streichholz aus, mit dem er den Backofen angezündet hatte. Früh am Morgen hatte er Loubna eingespannt, um Leni zum Bus zu bringen. Sie hatte sich sorgfältig zurechtgemacht, worüber sie selbst grinsen mußte, als sie, nervös gegen den Schleier an ihrem Hütchen tippend, den Wagen bestieg. Es machte ihr nichts aus, daß ihre Reise ein trauriges Ziel hatte, das Wichtigste war, daß sie in eigener Angelegenheit wegfuhr und uns alles wohlgeordnet hinterließ. Wider besseres Wissen hoffte sie, der Meisterwürde noch an diesem Abend zurückkehren und in guter Gesellschaft die Pasteten probieren, die wir nur noch zu wärmen brauchten. Und obwohl sie von ihrem eigenen Mann nichts erwartete, weil der ihr nicht einmal half, ihren Handkoffer in den Wagen zu heben, schien sie das vollste Vertrauen zu Doktor Reich zu haben, dem umgänglichen Arzt, der Raeren in einen Ort der Ruhe und des Wohlbehagens verzaubern würde. So hatte sie alles beschlossen, exakt so, wie sie dieses Hütchen aufgesetzt hatte. Mich überkam eine böse Vorahnung, als ich den Schleier tanzen sah wie einen kleinen Sturmvogel, kurz bevor das Unwetter losbricht.
    Natürlich kam der Otter nicht. Also hatten die ungebetenen Gäste, die jetzt gegen die Haustür ballerten, das Telegramm geschickt. Während Heinz lostrabte, um ihnen zu öffnen, suchte ich nach einem Versteck. Bis zur Treppe schaffte ich es nicht mehr, der einzige Ausweg war die kleine Tür zur Vorratskammer im Zwischengeschoß. Im kalten Stockdunkel stolperte ich hinauf. Meine Finger glitten über Weckgläser und rohe Zwiebeln, die sich beruhigend anfühlten und rochen, während ich mein wichtigstes Sinnesorgan nicht einsetzen konnte und mein Gehör Geräusche zu ignorieren versuchte, die bedrohlich näher kamen. Die Küchentür, die gegen die Wand schlug, brüllendes Gelächter auf dem Flur, nur eine Armlänge entfernt eine ziegenbockähnliche Stimme: »Schwingen Sie heute den Kochlöffel, Wertester?«
    »Nein, nein, meine Frau hat alles vorbereitet, ich muß es nur noch in den Ofen schieben. Wie viele sind Sie? Oder kommen noch mehr?«
    »Darüber sprechen wir später, Wertester. He, das schmeckt kalt auch nicht schlecht. Was gibt’s zu trinken?«
    Wieder schlug die Küchentür, schräg über mir erklang Gejodel. Meine Kniescheibe stieß gegen den Kabinenkoffer, mit geballten Fäusten setzte ich mich auf den Fußboden. Da zeichneten sich alte Bekannte ab – Garderobenständer, zerbrochener Spiegel, Kaisertochter mit Totenkopfmütze –, aber sie berührten mich nicht mehr. Das Porzellan im Schrank klirrte, jemand stieß einen Schmerzensschrei aus, danach ertönte wieder schallendes Gelächter. So lärmend hatte ich Raeren noch nie erlebt. Natürlich wurde jede Morgenruhe vom Crescendo unserer Waffen durchschnitten, natürlich stampften wir auf, wenn wir siegten, und fluchten, wenn wir verloren. Natürlich hatte das Grammophon durchs Haus geschallt, genauso falsch wie Lenis halb vergessene Lieder, und natürlich hatte es Streitereien gegeben. Dies aber war nervöser Lärm, der Auftakt zu sehr viel schlimmeren Geräuschen.
    »Herr Raab!«
    »Anton! Fangt ihr schon mal im Fechtsaal an. Ich muß hier noch etwas mit dem Herrn des Hauses besprechen. Was meinen Sie? Wir lassen die Jungs sich austoben, finden Sie nicht?«
    »Natürlich.«
    »Sie waren doch auch mal jung, Herr Kraus.«
    »Heinrich. Aber der Herr des Hauses bin ich nicht, leider.«
    »Was nicht ist, kann noch werden, Heinrich.«
    »Zuerst ein Glas?«
    »Zuerst ein Glas.«
    Vom Boden zog Kälte herauf, ich

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