Die niederländische Jungfrau - Roman
Zwillinge würgten lauthals. Leni war wendigerals erwartet. Friedrich bekam den ersten Klaps ab, Siegbert versuchte, ihre Angriffe mit fuchtelnden Armbewegungen zu parieren.
»Laß die Finger von meinem Bruder, Frau!«
»Frau, ja«, schrie Leni. »Richtig gesehen. Ich hoffe, du kriegst irgendwann mal eine ab. Oder heiratest du vielleicht lieber deinen Bruder?«
Siegbert und Friedrich sahen sich an, einander zugetan, zufrieden.
»Nur der Teufel ist so eitel«, sagte Leni entsetzt. »Gesunde Jungs wüßten was Besseres anzufangen mit so einer hübschen Dame in ihrer Mitte.«
Siegbert sah von mir zu der Sau. »Wen von den beiden meinen Sie eigentlich, Leni?«
Ich war noch nie verliebt gewesen. Nicht in jemanden aus Fleisch und Blut. Das war nicht schlimm, leicht komponierte ich nachts aus meinem Verlangen einen Siegbert. Einen, der mich umwarb, anstatt sein Ebenbild. Ohne die geringste Mühe ließ ich ihn an meinem Hals keuchen, weil ich jetzt wußte, wie sein Keuchen klang, und den Schweiß, den ich ebenfalls kannte, von seiner Brust auf meine tropfen. Ich küßte seine Lippen, die eigentlich meine Fingerspitzen waren, seine Wange, meine Handfläche. Doch diesmal erschienen keine Gespenster im Dachzimmer. Von ihrem Versteck aus müssen sie eifersüchtig zugeschaut haben, wie meine Hirngespinste mich zum Höhepunkt führten.
8
»Heute Abend ist Mensur.«
In der Verwirrung des Erwachens sah ich, wie Bolkonski oder irgendein anderer Schlummerliebhaber blitzschnell von einem Mann beiseite geschoben wurde, der so unbeugsam war wie die Wirklichkeit selbst. Er stand da, beide Arme gegen den Türrahmen gestemmt. Vielleicht ja schon eine ganze Weile.
»Ich wußte nicht, daß Niederländer auch Siesta halten.«
Es war Samstagnachmittag, ich hatte nur kurz ein Nickerchen machen wollen. Mein Rock war bis zu den Schenkeln hochgerutscht. Ich grapschte nach dem Laken, aber da lag ich drauf, noch mit Schuhen an den Füßen. Wie spät war es, was hatte ich gemacht und was hatte er gesehen?
»In einer Stunde beginnt die Mensur. Weißt du, was das ist?«
Oh, ja. Ein Freund meines Fechtmeisters Louis war zum Studium nach Stuttgart gegangen und mit einer roten Narbe an der Stirn zurückgekehrt. Ein Schmiß. Er nannte es ein Ehrenabzeichen. Louis fand es kindisch. Einen Bund mit Blut besiegeln, das taten nur kleine Jungs auf dem Schulhof. Und warum sollte ein ernsthafter Fechter damit prahlen, daß ihn jemand voll ins Gesicht getroffen hatte? Der Freund hatte überheblich gelächelt, so daß der Schmiß in der Falte zwischen seinen Augenbrauen verschwand. Wir Sportler verstünden davon nichts. Florettfechten, das sei kindisch. Ein fades Spielchen mit einer Spielzeugwaffe. Die Mensur dagegen diene dazu, sich selbst zu besiegen. Wenn man das nicht schaffe, dürfe man einen anderen nicht einmal besiegen wollen . Er hatte recht. Ich verstand es nicht.
»Ich erlaube dir dabeizusein«, sagte er. »Vielleicht ist es ja das letzte Mal, daß du so etwas siehst, wer weiß, man will es auf Befehl von oben abschaffen, weil es angeblich antiquiert ist.«
Er streckte sein steifes Bein und trat ins Zimmer. Einfach so, unverfroren. Dies war sein Haus. Ich befand mich darin wie der Stuhl, auf den er sich stützte. Er beugte sich über meine Besitztümer auf dem Frisiertisch. Meine Bürste, darin meine Haare. Meine abgenutzte Nagelfeile, den angetatschten Taschenspiegel, die ausgehöhlte Lippenpomade. Krieg und Frieden . Seit meiner Ankunft hatte ich es nicht mehr aufgeschlagen, und wenn er es aufschlüge, würde er sich selbst sehen. Sein verschwommenes Ich aus einer fernen Vergangenheit. Aber er öffnete es nicht, ließ die Hand auf dem Buch liegen, als wüßte er, was darinsteckte, und wollte, daß es darinblieb.
»Antiquiert«, murmelte er. »Alles soll ausgelöscht werden, gleichgeschaltet in einem neuen System, als wären wir schon begraben. Ich erhebe Protest. Man warnt mich, ich solle Ruhe geben, und ich protestiere noch lauter.«
Ich hatte keine Ahnung, wer »man« war, aber sein Ton gefiel mir. In so einem Ton sprachen rebellische Kavaliere nun mal, sie stapften einem durchs Schlafzimmer, an ihren Reitstiefeln noch Mist. Ich zog das Laken über mich.
»Du darfst also dabeisein«, sagte er, »ausnahmsweise. Die Zwillinge lasse ich aus dem Spiel. Sag ihnen nichts. Heinz nimmt sie mit ins Dorf, dort ist Jahrmarkt. Oder würdest du lieber mit ihnen mitfahren?«
Er betrachtete mich im Frisierspiegel. Unter dem Laken, zwischen meinen
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