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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Bötticher ist einer von altem Schrot und Korn«, sagte Leni. »Aber Heinzi hätte das nicht sagen dürfen, das mit dem alten Stahlhelmfritzen. Er ist kein Fritze und auf keinen Fall alt. Solche Männer altern nicht. Dafür sind sie zu oft dem Tod entronnen. Wenn man dem Tod entrinnt, erlebt man jeden Tag, als wäre er doppelt so lang, wie Kinder.«
    Sie stopfte die schmutzige Bettwäsche in einen Kissenbezug. Ich war so beeindruckt vom Leibhusar, daß ich keinen Finger krumm machte. Seine kohlrabenschwarze Stute lief, als sei sie stolz auf ihre Unterwerfung, während allein schon in dem anmutigen Hals genug Kraft steckte, den Reiter zu töten.
    »Majestätisch, findest du nicht?« fragte Leni. »Ich habe sie noch als Fohlen gekannt. Als der Chef gerade hierher kam, waren sie unzertrennlich. Tagsüber ritt er sie unter dem Sattel, nachts blieb er im Stall. Als hätte er Angst, daß jemand sie stehlen würde. Gut möglich. Heinzi sagt, das Vieh muß ein Wahnsinnsvermögen gekostet haben.«
    Sie wollte aus dem Zimmer gehen, überlegte es sich aufhalbem Wege jedoch anders. »Ich hab nichts gesagt, aber es heißt, er hat im Krieg ein Pferd verloren. Ein ganz besonderes Tier, ein Geschenk von seinem Vater, irgend so was. Jedenfalls hatten sie eine Beziehung, die uns einfachen Leuten zu hoch ist. Dieses Pferd ist ihm genommen worden. Es heißt, es ist weggelaufen, während er krepierte, und daß er davon wahnsinnig geworden ist. Wahnsinnig von dem Verrat. Stell dir vor, das Pferd aus seiner Kindheit, sein einziger Kamerad – daß der Mann eine schreckliche Jugend hatte, steht fest: Einzelkind, Vater ein Despot, Mutter im Wochenbett gestorben –, so ein Mistviech, das einfach abhaut und nicht mehr zurückkommt! Aber man hört so viel. Andere sagen, man hat es ihm unter dem Hintern weggestohlen, oder er hat es selbst von seinem Leiden erlösen müssen, weil es verletzt war. Wieder in Ostpreußen, ist er eine Zeitlang gepflegt worden, und glaub mir, bestimmt nicht nur wegen seinem Bein. Eines kann ich dir sagen: Wie der hier in den Ställen rumhing, das war nicht normal. Das war schon fast fünfzehn Jahre nach dem Krieg, aber mein Mann und ich, wir sahen uns manchmal an … Einmal hörte ich ihn heulen wie einen Wolf. Da hab ich Heinzi einen Schubs gegeben, aber der hat gesagt: Nix da, das geht uns nichts an, der ist nicht von hier. Ein Mann auf der Flucht, der gibt sich nicht zu erkennen. Der hat seine Geheimnisse vergraben und versucht, den Ort zu vergessen. Nur die Mutter der Zwillinge kennt ihn von früher, aber die verrät auch nichts. Glaub nicht, ich hätte nicht versucht, sie auszufragen.«
    Sie schwang sich das Bündel Bettwäsche über die Schulter, beinahe drohend. »Halt bloß den Mund, ich hab dir schon zu viel erzählt. Er ist ein komischer Kauz, aber das Leben auf Raeren ist nicht schlecht. Er ist ein Mann vonWort. Saubere Wäsche findest du in der Truhe auf dem Flur.«
    Und fort war sie. Von Bötticher trabte jetzt nahe genug, um mich vom Balkon winken zu sehen. Er schaute in meine Richtung, winkte aber nicht zurück. Als ob ich Luft wäre, so ein wiederkehrender Geist, der allen zum Hals raushängt mit seinen Erscheinungen. Ich wollte mich gerade voller Selbstmitleid auf das kahle Bett werfen, mich einer neuen Geschichte hingeben, in der ich eine tragische Rolle spielte, da wurde ich zweistimmig gerufen.
    »Janna! Komm schnell, so ein Graus, du glaubst es nicht!«
    Binnen einer Minute stand ich unten, obwohl mir ihr unterdrücktes Kichern nicht entgangen war. Ich bereute es sofort. Ein räudiger Hund war ich, euphorisch, wenn man mir den Kopf streichelte. Sie riefen noch einmal, ich solle in den Garten kommen.
    »Es spukt hier wirklich, Janna, nicht zu fassen!«
    Die Haustür war angelehnt. Ich erschrak nur kurz über das, was ich sah. Vor dem Haus bewegte sich eine formlose Gestalt, ohne vom Fleck zu kommen. Sie stand mit vier Beinen unter einem Laken, auf das mit Holzkohle zwei Kreise gemalt waren, die Augen darstellen sollten, damit starrte sie blind in die Ferne. Siegbert versuchte, sie in Bewegung zu bringen, doch sie blieb stehen und rieb sich mit einer Pfote über die Nase, der ein Grunzen entwich. Spannend wurde es erst, als mit gellenden Ausrufen eine Furie angeschossen kam. Sie versuchte, die Tischdecke von dem Vieh zu ziehen, doch das hatte sich mit einem Bein in einem Knoten verfangen und ließ sich auf die Seite fallen, wobei es seine Zitzen präsentierte wie ein Dutzend Windbeutel. Die

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