Die niederländische Jungfrau - Roman
zurückzuhalten. Für diese Gaffer ist der Krieg ein Zirkus, und wir sind die Tiere in eilends zusammengezimmerten Freigehegen. Ansonsten hat man eine deutsche Bibliothek für uns eingerichtet, und es gibt Ausflüge an den Strand. Na großartig!
Die Aufsicht obliegt diese Woche meinem Kameraden, einem Unteroffizier vom 9. Fußartillerieregiment. Wir hassen es beide. Vor allem die Leute aus Bayern wollen unsere Autorität nicht akzeptieren. Sie sind erschreckend derb und ungehobelt, ich denke, die wissen nicht einmal, wie man ein ordentliches Duell austrägt. Sie schlagen die Zeit tot mit Fußball und Korbball. Fechten dürfen wir nicht. Einer der Offiziere ist ein bekannter Säbelfechter, er hat meinen Vater in Schwerin gekannt und hat eine hohe Meinung von ihm. Er lädt mich gern in die Offiziersbaracke ein. Wenn ich dort das Porträt des Kaisers über dem Kaminsims hängen sehe, senke ich den Blick. Wenn er wüßte, welch müßiges Leben seine Offiziere hier führen, während die Soldaten an der Front fallen. Ich denke, er würde sie auf der Stelle standrechtlich erschießen lassen. Fast jeden Abend ziehen sie los und kommen erst spät zurück, mit Frauen. Ich bin sicher, unser von der Marwitz würde sich niemals zu so etwas herablassen. Wie es ihm jetzt wohl ergehen mag, im Kampf gegen die Russen?
Apropos Frauen: Hast Du Dir die Marke angesehen, die ich auf diesen Brief geklebt habe? Zwei Briefe pro Monat dürfen wir versenden, dafür haben wir diese Internierungsmarken erhalten. Ein Brandmal, das die Demütigung komplett macht, wenn wir unseren Mädels schreiben. Die Dame soll die Niederländische Jungfrau darstellen, Sinnbild der Batavischen Republik. Die Niederlande sind also stolz auf ihre Jungfräulichkeit in diesem Krieg. Aber wozu dann dieser Speer in ihrer Hand? Ich zweifle, ob ich diese Marke auf den Brief an Julia kleben soll. Ich habe ihr nicht alle Details über meinen Aufenthalt hier mitgeteilt. Ich möchte nicht in ihrer Achtung sinken. Sie wartet auf mich, das ist sicher, aber sie braucht noch nicht zu wissen, daß ich zu Unrecht in diesem Lager gelandet bin.
Heute ruhte ich mich kurz aus auf dem Feld. Vor meinem Gesicht summte eine Biene, danach eine Schmeißfliege, während aus einer anderen Richtung eine Hummel vorbeisauste. Es schien, als hätten sie sich eigens meinen Luftraum ausgesucht. Ich wünschte, hier wären mehr Tiere. In der Fremde, wo die Menschen einen mit ihren eigenartigen Gewohnheiten abstoßen, sind Tiere oft ein Rettungsanker. Und ist der Herr des Hauses ein noch so dreckiger Wicht, ein ungewaschener, zahnloser Tölpel, so ist sein Hund noch immer ein Hund, klug und vernünftig. Als wir in Belgien einmarschiert waren, sahen wir einen rauhhaarigen Hirtenhund, der uns bei einem Dorf so würdevoll erwartete, daß ich mein Pferd zügelte und fast die Mütze abgenommen hätte, um ihn zu grüßen. Welch ein Unterschied zu diesem Lumpenvolk, das sich kratzte, wenn es einen ansprach!
Mit Menschen zu kommunizieren fällt mir immer schwerer. Jedesmal, wenn man denkt, man führt gemeinsam ein Gespräch, stellt sich heraus, daß der eine sich vom anderen entfernt, um das Gespräch aus der Distanz zu beurteilen und heimlich seine Schlüsse zu ziehen. Es gibt sie immer, Jacq, diejenigen, die, während man ihnen einschenkt und noch so viel mit ihnen zu teilen hat, plötzlich auf die Uhr schauen und sagen: Ich muß gehen. Jene, die andere Pläne schmieden, noch während sie einen ansehen.
Ich glaube es nicht, Jacq, was Du mir weiszumachen versuchst. Ich glaube nicht, daß ich bei Bewußtsein war, als Du mich ins Krankenhaus entführt hast. Warum erinnere ich mich nicht an diese Fahrt? Ich weiß nur, daß ich in diesem Krankenhaus wieder zu Bewußtsein kam und daß ich trotz allem weiter unter Deiner Beobachtung blieb. Warum hast Du mich damals nicht gehen lassen? Hattest Du Angst, bestraft zu werden? In Deinem Brief schreibst Du, Du würdest noch immer zu Deinem Beschluß stehen, aber ich sitze hier, Herrgott noch mal, zwischen Kriegsgefangenen und Deserteuren! Du hast dagesessen und geschrieben, Du hast mich angegafft, wie die Dörfler hier. Du schreibst, Du würdest jederzeit eingreifen, wenn Du Zeuge eines Mordversuchs würdest. Daß Du mich vor weiterem Blutvergießen bewahrt hast,indem Du mich aus dem Kampf gezogen hast. Aber was ist mit dem Blut meiner Kameraden? Sie fallen jeden Tag, ich habe ihnen nicht helfen können, und jetzt liegt die Front zu weit entfernt für Eure
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