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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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erkenne ich ihn nicht wieder.«
    »Und jetzt wird gefochten«, sagte der Meister. »Und zwar ganz still. Kein Wort will ich hören und so wenig Waffengeklirr wie nur irgend möglich.«
    Wir absolvierten diese Übung nicht zum ersten Mal. Bei jedem Geräusch, das wir machten, wurde ein Punkt abgezogen. Wir versuchten zu fechten, aber indem wir Geräuschen auswichen, wichen wir vor allem einander aus. Wir führten Kreisparaden aus, die raumgreifender als notwendig ausfielen, nur um die Waffe des anderen nicht zu berühren. Wir schlichen über die Planche voneinander weg, und ein paarmal kam es sogar vor, daß wir mitten in einem direkten Angriff die Waffen zurückzogen. Als würden wir uns in einem Marionettentheater unter einem Puppenspieler hin und her bewegen, der seinen Text vergessen hatte. Als uns aufging, daß uns der Meister wieder einmal hatte sitzenlassen, stieg unser Ärger, aber wir sagten nichts, sondern behielten die Worte hinter unseren Masken. Nur unsere Füße stampften immer lauter auf. Während des letzten Gefechts gegen Siegbert hörte ich mich keuchen. Siegbert wurde immer besser. Ich schlug seine Waffe mit zuviel Kraft weg und griff ihn am Unterbauch an. Da unterbrach Friedrich die Stille: »Gut so, Janna. Mach ihn fertig. Laß es ihn spüren.« Siegbert riß sich die Maske vom Gesicht. »Ihr könnt mich mal! Glaubt bloß nicht, ich würde euch nicht durchschauen. Janna, wer sich zwischen uns stellt, verschwindet und taucht nie mehr auf. Da hat es schon andere gegeben.«
    Mit dieser Drohung ließ er uns stehen. Wir starrten uns mit offenem Mund an, bis eine Tür nach der anderen zuknallte. Die Eingangsdiele füllte sich mit Stimmen. Ich hörte Siegbert, Leni und eine weitere Frau.
    »Mutter«, flüsterte Friedrich. Tatsächlich. Leider. Warum mußte das Weib schon so früh am Tag auftauchen? Friedrich steckte sein Florett in die Tasche zurück und kam auf mich zu. Ich spürte, was er gleich tun würde. Noch immer versuchten wir, jedes Geräusch zu vermeiden. Wir schwiegen, unsere Zungen waren anderweitig mehr als beschäftigt. Ich klammerte mich an mein Florett als letzten Halt, er suchte unter meiner Fechtjacke nach meiner Haut. Ich schloß die Augen, verfolgte seinen Atem auf meiner Wange, fand seine Lippen wieder, er packte mich fester, ich ließ mich sinken. Wir flochten unsere Finger ineinander. In der Natur wären wir ein schönes Paar. Beide jung, strahlend vor Gesundheit, das Männchen etwas größer, blond, sie dunkel, stark. Alles in Ordnung. Warum sehnte ich mich dann nach einem Mann, der viel zu alt war, schlimm zugerichtet, bösartig und der obendrein hinkte? Warum roch ich jetzt nichts, während ich in Egons Armen Gerüche roch, die mich unruhig machten und zugleich zufrieden? War in der Natur Schönheit überhaupt wichtig? Harmonie, davon gab es genug, Blütenblätter, hatte ich gelernt, wachsen in perfekter Relation zueinander, so daß alle gleich viel Sonnenlicht bekommen, aber ein schöner Hengst besteigt genausogut eine häßlicheMähre. Ich traute mich nicht, Friedrich anzusehen, er hätte gemerkt, daß diese Harmonie mich kaltließ. Er drehte sich abrupt um. Seine Mutter betrat den Saal.
    »Da ist mein Kind!«
    Diese gräßliche Stimme. Ihr Kind ist ein Mann. Er hat gerade seine Finger unter meine Fechtjacke geschoben, und ich trage keinen Brustschutz, müssen Sie wissen. Er ist ein Mann, aber Sie haben keine Ahnung, wie wunderbar er küssen kann. Sie bekommen einen hastigen Kuß auf die Wange, er geht weg, Sie tun so, als hätten Sie nichts bemerkt, und richten das Wort an mich.
    »Und? Wie war der Unterricht heute?«
    Ich zuckte mit den Achseln. Sie wurde rot, schob eine ungebärdige Locke hinters Ohr. Ein schöner Stein in einer Silberfassung. Wahrscheinlich Aquamarin. Ich roch ihren Atem, Alkohol, schon so früh am Tag. Sie war betrunken nach Raeren gefahren.
    »Ich hab gehört, daß ihr wieder keinen Unterricht bekommen habt«, sagte sie. »Und daß er grob zu euch war.«
    »Nicht zu mir.«
    Als sie sich hinkauerte, kroch ihr Rock hoch. Es amüsierte sie, daß ich ihre Strumpfbänder sehen konnte. »Hast du schon mal was von Sippenhaftung gehört?«
    Ich schüttelte den Kopf. Die Innenseite ihrer Oberschenkel erinnerte an Weißfisch. Bei uns auf dem Markt stand ein Mann mit geräucherten Makrelen. Er rief den ganzen Tag lang: »Dicke Schenkel, dicke Hüften.« Blutig ernst war es ihm, es betraf den Fisch, nur den Fisch.
    »Du weißt aber auch gar nichts«, sagte sie.

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