Die Noete des wahren Polizisten
dem Padilla sich befand, eine zuvor unbemerkte Brandschutztür oder ein speziell an ihn, Amalfitano, gerichtetes Signal, das vielleicht besagte, er solle Vertrauen haben, dass die Dinge, auch wenn sie scheinbar zum Stillstand gekommen waren, in Bewegung seien, dass sie, auch wenn sie aussahen wie zerbrochene Statuen, auf ihre Weise wieder heil werden und in Ordnung kommen würden.
Er las dankbar. Padilla sprach von einer Rauschenberg-Ausstellung in einer Galerie im Zentrum von Barcelona (aber wenn es eine Rauschenberg-Ausstellung war, warum schickte er ihm dann eine Larry-Rivers-Karte?), von den Kanapees und Cocktails, von jungen Dichtern, mit denen er, Padilla, seit längerem keinen Kontakt mehr hatte, von einem langen Spaziergang zur Plaza Cataluña und von dort über die Ramblas hinunter zum Hafen, wo sich die Straßen in ein Labyrinth verwandelten, und Padilla und seine Dichterfreunde (Renegaten, die unterschiedslos spanisch und katalanisch schrieben und alle homosexuell waren und die weder von den spanischsprachigen noch von den katalanischsprachigen Kritikern gemocht wurden) verloren sich in einer geheimen Nacht, einer Nacht aus Eisen und offener Augen, schrieb Padilla.
Zuletzt sprach Padilla in einer Art Postskriptum oder kuriosem Anhang in Oktavgröße und mit winziger Schrift von einer Reise nach Girona, zum Elternhaus von einem der Dichter, von dem fast menschenleeren Zug, der sie »durch die katalanischen Gefilde« beförderte, und von einem Maghrebiner, der ein Buch von hinten nach vorn las und den der Dichter aus Girona fragte, ob es der Koran sei, was der Maghrebiner bejahte, die Sure über die Nächstenliebe oder das Mitleid oder die Barmherzigkeit (Padilla erinnerte sich nicht genau), was den Dichter aus Girona zu der Frage veranlasste, ob die darin proklamierte Nächstenliebe (oder das Mitleid oder die Barmherzigkeit) auch für Christen gelte, was der Maghrebiner erneut bejahte, selbstverständlich, na klar, mehr noch, auf alle Menschen, mit solcher Verve, dass sich der Dichter aus Girona zu fragen traute, ob sie auch für Atheisten und Homosexuelle gelte, und diesmal gab der Maghrebiner offen zu, dass er das nicht wisse, vermutlich schon, da Atheisten und Schwule doch auch Menschen seien, nicht wahr?, aber, Hand aufs Herz, genau wisse er das nicht, vielleicht ja, vielleicht nein. Und dann fragte im Gegenzug der Maghrebiner den Dichter aus Girona, was er denn glaube. Und dieser, bereits beleidigt, insgeheim gedemütigt, antwortete hochmütig, er glaube an das, was er durch die Fenster des Zugs sehe, Wälder, Gärten, Häuser, Straßen, Autos, Fahrräder, Traktoren, mit einem Wort: an den Fortschritt. Worauf der Maghrebiner erwiderte, dass der Fortschritt im Grunde nicht so wichtig sei. Was den Dichter aus Girona wiederum ausrufen ließ, gäbe es keinen Fortschritt, würden sie, der Maghrebiner und er, zum Beispiel nicht hier in einem halbleeren Zug so prächtig diskutieren. Worauf der Maghrebiner antwortete, die Realität sei eine Einbildung, und sie könnten in diesem Moment genauso gut in einem Zelt in der Wüste miteinander reden. Was den Dichter aus Girona zu einem Lächeln und dann zu den Worten veranlasste, sie könnten gerade in der Wüste miteinander reden oder miteinander vögeln. Worauf der Maghrebiner erwiderte, dass, wenn der Dichter aus Girona eine Frau wäre, er ihn bestimmt in sein Serail entführen würde, aber da der Dichter aus Girona anscheinend nur ein schwuler Hund und er nur ein armer Einwanderer sei, bliebe diese Möglichkeit oder Einbildung ausgeschlossen. Was den Dichter aus Girona zu der Bemerkung veranlasste, dass in diesem Fall die Sure über die Nächstenliebe unbedeutender sei als ein Fahrrad, und er möge seine Zunge hüten, denn so manchem habe sich die Sattelspitze eines Fahrrades in den Hintern gebohrt. Worauf der Maghrebiner erwiderte, das wäre in ihrer Welt, nicht in seiner, wo die Märtyrer immer erhobenen Hauptes gingen. Was den Dichter aus Girona zu den Worten veranlasste, alle Araber, die er kennengelernt habe, seien entweder Stricher oder Diebe gewesen. Worauf der Maghrebiner erwiderte, für die Bekanntschaften einer schwulen Sau sei er nicht verantwortlich. Was den Dichter aus Girona zu den Worten veranlasste: Schwul und Sau, einverstanden, aber wetten, du bist nicht imstande, es dir hier und jetzt auf Französisch besorgen zu lassen? Worauf der Maghrebiner erwiderte, das Fleisch sei schwach, und er müsse sich an die Marter gewöhnen. Was den Dichter aus
Weitere Kostenlose Bücher