Die Nonne und die Hure
und führte ihren literarischen Zirkel.
Celina und Christoph bestiegen eine Kutsche und machten sich auf nach Paris; Hans und Brinello wollten eine Woche später folgen.
Sie fuhren über Mestre nach Bassano del Grappa. Celina hatte sich bald an das Rumpeln des Wagens gewöhnt, doch sie sah alles wie durch einen Schleier. Noch konnte sie nicht vergessen, was geschehen war. Der Abschied von den Eltern war schmerzlich gewesen, aber Celina war sich sicher, dass es ihnen gut gehen würde in der Lagunenstadt. Eine Zeitlang zogen sie die Straße an dem Fluss Brenta entlang. Hier hatte alles angefangen, und inzwischen waren fast zwei Jahre vergangen, die ihr wie ein halbes Leben erschienen. Vor ihrem inneren Auge sah Celina den Reiher, wie er den Fisch aus dem Fluss holte, wie das Blut über seine Brust spritzte. Heute war wieder ein Reiherpärchen da; die Vögel saßen stumpf brütend auf einer der Krüppelweiden am Ufer. Christoph nahm Celinas Hand.
»Wie klein scheinen doch die eigenen Sorgen angesichtsdieser Landschaft, die nach nichts fragt und einfach nur da ist«, sagte er.
»Ach, wenn es doch immer so sein könnte!«, antwortete Celina.
Christoph zog sie näher zu sich heran, als wolle er sie wärmen. Plötzlich lagen sie sich in den Armen und küssten sich. Langsam machte Celina sich wieder von ihm los.
»Darauf habe ich schon lange gewartet«, sagte Christoph leise. »Sehr lange, um es genau zu sagen.«
»Ich eigentlich auch«, antwortete sie. »Aber …«
»Aber die platonische Liebe steht ja weit über der körperlichen, wie unsere liebe Tullia verkündete. Nicht wahr?«
»Es ist nicht nur das.«
»Du willst dich jetzt noch nicht binden, hast das alles noch nicht verarbeitet, musst erst zu dir selber kommen. Ich dränge dich nicht, weil ich dich liebe.«
»Ich liebe dich auch.«
»Was war eigentlich mit deinen Eltern?«, fragte sie. »Du hast nie darüber gesprochen.«
»Sie wurden in der Nähe von Paris als Ketzer aufgegriffen, zusammen mit einer Gruppe, die sich regelmäßig traf, um die Schriften von Calvin zu lesen.«
»Die Hugenotten?«
»Ja, so werden sie genannt. Ich kann es dir nicht sagen, nur so viel: Ich wurde gezwungen, ihre Verbrennung mit anzusehen.«
Celina nahm ihn in den Arm. »Und das hast du die ganze Zeit mit dir herumgetragen. Dagegen ist das Leid, das ich erlitten habe, gar nichts.«
»Sag so etwas nicht. Jedes Leid, durch einen Menschen erfahren, ist ein großes Leid.« Sie nahm seine Hand. »Eins noch: Was ist aus den Büchern geworden, die du aus dem deutschen Reich hergebracht hast?«
»Sie sind in meinem Gepäck.«
Celina lachte.
Er küsste sie abermals. Sie wollte dem Verlangen nachgeben, erwiderte den Kuss. Dann zog sie sich zurück.
»Die fleischliche Liebe ist …«
»Minderwertig? Du musst sie nur einmal erleben, dann kannst du sagen, ob das, was Tullia gesagt hat, stimmt.« Er küsste sie erneut. Sie sanken in die Kissen der Kutsche zurück. Es war Celina gleichgültig, was geschehen würde; sie hörte das Knarren der Wagenräder und das Plätschern des Flusses. Die Liebe ist unendlich, einen Moment lang, der alles überdauert. Hatte ein Reiher geschrien?
Nachwort
Die Personen und die Handlung dieses Romans sind frei erfunden. Es gab jedoch wirklich einen Abt namens Giovanni Pietro Lion, der an einem besonders grauen Novembertag im Jahre 1561 auf dem Markusplatz in Venedig hingerichtet wurde. Auch den Dogen Priuli und den päpstlichen Gesandten Ippolito Capilupi gab es in Wirklichkeit. Diese und weitere wertvolle Informationen habe ich dem Buch »Die Jungfrauen von Venedig« von Mary Laven zu verdanken, das mich auch zu dieser Romanidee inspiriert hat. Gebrochene Gelübde, Theaterspiele, Orgien hinter Klostermauern – das alles hat es im Venedig des ausgehenden Mittelalters und der Renaissance gegeben. Die »Liste der verbotenen Bücher« wurde erst im Jahr 1926, als sie ca. 6 000 Titel umfasste, aufgehoben.
Ich danke Karl Kloiböck, Janna Ramm, Mia Schreiber, Anja Labussell und Maren F. dafür, dass sie mich bei diesem Roman begleitet haben. Meinem Agenten, Dirk R. Meynecke, und meinem Lektor, Herrn Reinhard Rohn, danke ich für Anregungen und dafür, dass sie sich intensiv mit meinem Text auseinandergesetzt haben. Meinem Lebensgefährten Peter Steebenvoll sage ich Dank wegen seiner Begleitung während der Recherchen und seine immer währende Ermutigung.
Informationen zum Buch
Geheimnisvolles Venedig
Die Lagunenstadt im Jahr 1560. Nachdem ihre Eltern
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