Die Nonnen von Sant'Ambrogio: Eine wahre Geschichte (German Edition)
Alaun fand in der Medizin des 19. Jahrhunderts als Kaustikum zum Blutstillen oder als Ätzmittel bei der Entfernung von Warzen Anwendung. Der Geschmack ist erst süßlich, dann herb, alles im Mund zusammenziehend. Alaun innerlich angewendet verätzt die Magen- und Darmschleimhaut und kann in höheren Dosen tödlich sein. Wie aber das Alaun, ein wasserhaltiges schwefelsaures Doppelsalz von Kalium und Aluminium, zu dem scharfen Geruch der Fleischbrühe passen soll, bleibt das Geheimnis von Pater Peters. Ob er das Fläschchen wirklich untersuchen ließ, steht dahin.
Wenig später besuchte Doktor Luigi Giovanni Marchi Katharina am Krankenbett und ordnete an, ihr Kassia mit Tamarinde zu verabreichen, um sie zu entgiften und ihren Stoffwechsel anzukurbeln. Damit bot er Maria Luisa endlich die Gelegenheit zur finalen Vergiftungsaktion. Hatte Agnese Celeste ihr doch geraten, das Opium unter die Kassia zu mischen, weil es dieselbe Farbe hatte und den Geruch übertünchen würde. Nun ordnete der Arzt ausgerechnet die Gabe dieser Arznei an. Das musste Maria Luisa als Fügung des Himmels erscheinen. Voller Begeisterung berichtete die Madre Vicaria daher ihrer Komplizin Maria Ignazia, da habe Maria Giuseppa im ganzen Kloster herumposaunt, sie wolle die Prinzessin vergiften. Dadurch seien ihr tagelang die Hände gebunden gewesen. Und nun hätten die Ärzte ausgerechnet das zur Tarnung einer Vergiftung am besten geeignete Medikament verordnet und ihr dies auch noch persönlich anvertraut.
Maria Luisa brachte das Opium am Montag, dem 13. Dezember, in eine flüssige Form, um es unter die Kassia mischen zu können.[ 37 ] Tatsächlich beobachteten sie mehrere Zeuginnen dabei, wie sie in ihre Zelle ging und in einem Zinnteller, den sie über eine Kohlepfanne hielt, Opium in Öl auflöste. Diese Flüssigkeit habe sie in eine Tasse gegossen. Maria Ignazia berichtete dem Inquisitor, sie sei am Abend in die Zelle Maria Luisas gekommen.[ 38 ] «Ich roch einen enormen und sehr ekligen Gestank. … Die Meisterin bemerkte den Ausdruck auf meinem Gesicht. Als ich ihr sagte, es stinke unerträglich, antwortete sie mir: ‹Aber nein, kein Gestank; es muss an dem Medikament liegen.› Dann fügte sie hinzu: ‹Morgen früh stehen Sie auf und ziehen sich schnell an, um das Medikament mit heißem Wasser zu verdünnen und es der Prinzessin zu bringen.›» Maria Ignazia bemerkte auch, «dass die Dosis des Medikaments aus Kassia und Tamarinde im Glas erhöht worden war und eine andere Farbe hatte».
Dann schilderte sie ausführlich ihre eigene Mitwirkung an der Vergiftung Katharinas am Dienstag, dem 14. Dezember:
«Am nächsten Morgen stand ich nach dem ersten Weckruf auf und ging bald zur Zelle der Meisterin; ich machte ihr das Licht an; sie sagte mir, ich solle sofort Schwester Maria Felice rufen, damit sie heißes Wasser aus der Küche hole, denn ich musste bei ihr bleiben. Und tatsächlich, während Maria Felice das heiße Wasser aus der Küche holen gegangen war, um das Medikament zu verdünnen, hielt mir die Meisterin die folgende Rede: ‹Wissen Sie? Ich fürchte, dass die Prinzessin das gestern Abend zubereitete Medikament nicht einnehmen wird, weil es zu viel und dickflüssig ist; deswegen ist es besser, dieses andere zuzubereiten, das eigentlich für Schwester Agnese Celeste bestimmt ist; aber ich bitte Sie, bringen Sie es nicht durcheinander; man soll es Agnese Celeste nicht geben: Geben Sie acht darauf, dass Sie sich nicht täuschen.›
Ich antwortete: ‹Seien Sie ruhig, ich werde mich nicht täuschen und es ihr nicht geben.›
Dann fügte sie hinzu: ‹Gut, holen Sie unsere Kassette.›
Ich holte sie, und sie nahm den Schlüssel, den sie bei sich hatte; während ich ihr leuchtete, öffnete sie die Kassette noch im Bett liegend und zog eine Dose mit Heilerde heraus, die mit rotem Wachs versiegelt war und den Stempel der Apotheke trug, den ich aber nicht beschreiben kann. Die Meisterin entnahm der Dose ein Tütchen, schnitt das Wachspapier rundherum mit einer Schere auf und leerte den Inhalt in das Glas mit dem Medikament für Schwester Agnese Celeste. Das Tütchen trug umlaufend die Inschrift ‹Atropa belladonna›. Auch die Meisterin selbst sagte mir, es handle sich um Belladonna-Extrakt.
Die Meisterin befahl mir, das Glas mit dem Medikament auf ihrem Tischlein stehen zu lassen; sie schloss die Kassette und sagte zu mir: ‹Sie gehen jetzt an einen schicklichen Ort und werfen diese Dose weg, dann werden Sie die Schere
Weitere Kostenlose Bücher