Die Nordischen Sagen
der Gefallenen, Grimr, der Maskierte, Svipall, der Launenhafte, oder Vidurr, der Zerstörer. Diesmal also nannte Odin sich Bölverk, was so viel heißt wie Übelstifter.
Baugi war nicht besonders klug, und so ließ er den Fremden vertrauensvoll in sein Haus und berichtete ihm auch gleich von seinen untreuen Knechten, die sich zerstritten und schließlich sogar umgebracht hatten.
»Nein«, sagte Odin und legte Baugi tröstend eine Hand auf die Schulter, »wie kann denn so etwas passieren? Brauchst du vielleicht einen neuen Knecht? Ich arbeite für neun, wenn ich als Lohn einen Schluck vom Met deines Bruders bekomme. Überall wird davon gesprochen, dass er die Dichtkunst verleiht.«
»Dann bist du von nun an mein Knecht«, sagte der Riese. »Aber ich muss dich warnen. Mein Bruder Suttung lässt nur seine Tochter Gunnlöd davon trinken. Ich selbst habe den Kessel noch nicht einmal gesehen. Aber ich verspreche dir, dass ich dich begleiten und einen Schluck für dich erbitten werde.«
Bölverk, also eigentlich Odin, war mit dieser Antwort zufrieden, und schon am nächsten Tag leistete er allein die Arbeit von neun Knechten. Als der Sommer vorüber war, forderte Odin seinen Lohn. Der Riese hielt sein Versprechen, und gemeinsam traten sie vor Suttung.
»Das ist mein Knecht Bölverk, und ich habe ihm alsLohn für seine gute Arbeit einen Schluck von deinem Dichtermet versprochen«, sagte Baugi.
»Ha, haha, versprechen kannst du viel«, antwortete Suttung, »aber verteilen kann nur ich meinen Dichtermet. Und ich sage: Nein!«
Odin jedoch gab nicht auf und wandte sich nun selbst an Suttung. »Vielleicht darf ich den Dichtermet zum Lohn für meine Arbeit wenigstens ansehen. Nur damit ich weiß, dass du die Wahrheit gesagt hast und ihn wirklich besitzt.«
Da Odin schnell gesprochen hatte und Suttung ein echter Riese war, dauerte es eine Weile, bis er begriff, was Odin gesagt hatte, dann aber antwortete er: »Ich besitze den Met, so wahr ich Suttung heiße. Und ich werde ihn euch zeigen. Aber keiner trinkt auch nur einen Tropfen davon!«
Damit führte er sie tief hinein in den Berg, wo der Met versteckt war, ließ sie die Gefäße mit der goldenen Flüssigkeit bewundern und begleitete sie dann wieder hinaus.
Für diesmal musste Odin sich geschlagen geben. Kaum aber war er mit Baugi wieder auf dem Heimweg, hatte er schon einen neuen, wahrhaft göttlichen Plan: »Hier hast du einen Bohrer«, sagte er zu Suttungs Bruder und reichte ihm das himmlische Werkzeug, »bohre damit ein Loch in den Berg!«
Da der Riese nie vom Dichtermet getrunken hatte und da auch er nicht übermäßig klug war, wunderte er sich nicht darüber, was der Knecht da von ihm verlangte. Und so bohrte Baugi. Schon in der nächsten Nacht hatteer einen schmalen Tunnel in den Berg gegraben, der bis zu der Höhle reichte, wo der Met versteckt war. Als die Arbeit getan war, trat Odin zu Baugi und nahm ihm den Bohrer aus der Hand.
»Ich wusste, dass Riesen dumm sind, aber manchmal übertrefft ihr euch wirklich selbst. Und nun schau, was ich kann, denn ich bin kein Knecht, sondern der Göttervater selbst«, rief Odin dem Riesen zu. Mit einem einzigen Fingerschnippen sprengte er einen Tunnel in den Berg, dann wandte er sich wieder dem gaffenden Baugi zu. »Ja, auch das unterscheidet euch Riesen von uns Göttern, ihr liebt es zu arbeiten.« Dann tippte er Baugi an die Stirn, dass er besinnungslos hinsank, und ging durch den Tunnel in den Berg hinein.
Als Odin in der Höhle angekommen war, verwandelte er sich wieder in den Knecht Bölverk. Es dauerte einen Moment, bis sich sein Auge an die Dunkelheit der Höhle gewöhnt hatte, dann aber erblickte er in einer Ecke die schöne Gunnlöd, die den Kessel und die beiden Töpfe bewachte.
Odin war klug genug, die kostbaren Gefäße nicht weiter zu beachten, sondern sich nur auf die schöne Riesin zu konzentrieren. Er machte ihr Komplimente, war so charmant, wie nur ein Gott sein kann, und versprach ihr schließlich sogar, sie zu heiraten.
Drei Tage und drei Nächte blieb Odin bei Gunnlöd, die inzwischen rettungslos in den stattlichen Knecht verliebt war. Als Zeichen ihrer großen Liebe gestattete sie dem verkleideten Göttervater schließlich sogar, drei Schlucke von dem Met zu nehmen. Darauf hatte Odin gewartet.Mit einem mächtigen Zug leerte er den Kessel, mit zwei weiteren auch noch die beiden Töpfe. Dann lief er aus der Höhle, verwandelte sich in einen Adler und flog davon.
Gunnlöd aber blieb zurück und
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