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Die Nordischen Sagen

Die Nordischen Sagen

Titel: Die Nordischen Sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Neuschaefer
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verunglückt«, sagte Gallar zu der Frau des Riesen und zwirbelte scheinbar unglücklich seinen struppigen Bart. »Es tut uns wirklich sehr leid, aber wir konnten ihn nicht retten. Denn wie soll ein Zwerg einem Riesen helfen!«
    »Aber wenn es dich tröstet«, fuhr der hässliche Fjallar fort, »dann komm mit hinaus, und wir zeigen dir die Stelle auf dem Meer, wo es passiert ist.«
    Gallar war inzwischen auf einen Felsvorsprung oberhalb des Höhleneingangs geklettert, und als die weinende Riesin aus der Tür trat, ließ er einen Mühlstein auf ihren Kopf herabfallen und tötete sie ebenfalls.
    Weil aber die Zwerge überall mit ihren Schandtaten und mit dem Besitz des Dichtermets prahlten, erfuhr auch bald Suttung, der Sohn des ermordeten Riesen Gilling, davon. Sofort eilte er zum Unterschlupf der Zwerge, ergriff sie, setzte sie in ein Boot und fuhr mit ihnen hinaus aufs Meer zu der Stelle, wo sie seinen Vater ertränkt hatten. Dort setzte er die Zwerge auf einem Fels, der bei Ebbe aus dem Wasser ragte, aus und wartete auf die Flut. Als das Wasser immer höher stieg und den Zwergen bald bis zum Hals reichte, wimmerten sie um ihr Leben.
    »Schau, Suttung«, sagte Gallar in heller Angst, »wir wollten deinen Vater doch nur das Schwimmen lehren.«
    Suttung aber antwortete: »Wie schade, dass ihr es selbst nicht könnt, und schade auch, dass ihr nicht größer seid, dann würde euch das Wasser jetzt sicher nicht bis zum Hals stehen.«
    »Aber Suttung, lieber guter Suttung.« Fjallars Stimme überschlug sich. »Wenn du uns ins Boot holst, geben wir dir den Dichtermet. Bei unserer Zwergenehre! Dann bist du der weiseste Mann, den es gibt. Zumindest in Mittelerde«, ergänzte er mit einem Blick zum Himmel.
    Suttung ließ es damit genug sein. Er rettete die Zwerge und erwarb so den Met der Dichtkunst. Die zwei Töpfe und den Kessel aber versteckte er tief in einem Berg und setzte seine schöne Tochter Gunnlöd als Wächterin ein. Die zwei Raben, die ihn seit Tagen begleitet hatten und jetzt in den Wolken verschwanden, bemerkte er nicht.
    »Da seid ihr ja endlich«, sagte Odin, als Hugin und Munin durch das Fenster hereinflatterten und sich auf seinen Schultern niederließen, »ich bin zwar der Göttervater, aber im Augenblick bin ich nur fast allwissend. Was ist wirklich mit Kvasir geschehen?«
    Da berichteten ihm die Raben von den Schandtaten der Zwerge und davon, wo der Dichtermet jetzt verborgen war.
    »Und jeder, der davon trinkt, wird ein Dichter?«, fragte Odin, als die Raben schwiegen. »Vielleicht sollte ich den Met selbst nach Asgard holen. Sonst trinken am Ende noch die Riesen davon, und das ist wirklich eine scheußliche Vorstellung. Dichtende Riesen? Wo jeder weiß, dass die meisten Riesen dumm sind.«
    Also machte sich Odin auf den Weg nach Midgard. Um unerkannt nach dem Dichtermet suchen zu können, verkleidete er sich als Wandersmann mit abgetragenem Mantel und einem großen Schlapphut, der die Narbe über seiner linken Augenhöhle verbarg. Kaum war Odin in der mittleren Welt angelangt, erreichte er eine große Wiese, auf der neun Knechte das Gras mähten.
    »Wem gehört denn diese riesige Wiese?«, rief Odin den Knechten zu.
    »Sie gehört Baugi, dem Bruder des Riesen Suttung«, antworteten die Knechte und wischten sich den Schweiß von der Stirn.
    »Ich sehe, eure Sensen sind nicht mehr scharf, soll ich sie euch schleifen?«, fragte Odin weiter. »Ich habe nämlich den besten Schleifstein, den es in allen Welten gibt.«
    Da die Knechte gerne einen Moment verschnaufen wollten, willigten sie ein und reichten Odin ihre Sensen. Der schärfte sie, und als die Knechte wieder an die Arbeit gingen, schnitten die Sensen so scharf, dass die Arbeit wie von selbst ging. Als die Knechte das bemerkten, wollte jeder diesen besonderen Wetzstein für sich haben. Odin warf ihn in die Luft, und jeder der Knechte griff danach. Es gab ein Handgemenge, dann eine Prügelei, und schließlich schnitten sich die Knechte mit ihren scharfen Sensen gegenseitig die Kehlen durch. Odin hob den Wetzstein wieder auf, säuberte ihn an seinem Mantel und ging weiter.
    Als es Abend wurde, klopfte er bei Suttungs Bruder an. »Ich bin ein müder Wanderer und bitte dich um ein Nachtlager, mein Name ist Bölverk.«
    Denn Odin war nicht nur der Gott der Verkleidungen, sondern auch der Gott der vielen Namen, und er liebte es, sich immer neue Bezeichnungen für sich selbst auszudenken, je beeindruckender, desto besser: Yggr, der Schrecken, Valfodr, Vater

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