Die oder keine
denn sie gab ein so schönes Bild ab, wie sie dasaß, den langen, schlanken Hals zur Seite geneigt und mit gesenktem Blick, so dass ihre langen, gebogenen Wimpern sich von den blassen Wangen abhoben. Sie trug ein knöchellanges weißes Kleid mit einem spitzenbesetzten Oberteil und einem ausgestellten Rock, und im Licht der untergehenden Sonne glänzte ihr blondes Haar wie gesponnenes Gold. Die goldene Kette, die sie getragen hatte, war bei jeder Bewegung hin und her geschwungen.
Jason erinnerte sich noch genau daran, was er dabei empfunden hatte. Er hatte sich danach gesehnt, ihren Nacken zu streicheln und dann ihren Kopf nach hinten zu biegen, um die Lippen auf ihre zu pressen, bis die Stimme seiner Patientin ihn jäh aus seinen erotischen Tagträumen gerissen hatte.
Die Vorstellung hatte ihn damals erregt und erregte ihn auch jetzt.
Mit finsterer Miene überquerte Jason die Straße, riss sich jedoch zusammen, sobald er die Bäckerei betrat.
Ein geringfügiger Nachteil, den das Leben in Tindley mit sich brachte, war, dass sich alles sofort herumsprach, und er, Jason, wollte keinesfalls das Gerücht aufkommen lassen, dass er Probleme hatte. Leider durfte er sich auch nicht nach Heathers Plä nen erkundigen, denn es hätte sofort zu den wildesten Spekula tionen geführt.
„Morgen, Dr. Steel”, begrüßte Muriel ihn fröhlich, als sie ihn sah. „Das Übliche?”
„Ja, danke, Muriel”, erwiderte er lächelnd.
Während er einen Orangensaft aus dem Kühlschrank in der Ecke nahm, legte sie ihm die gewünschten beiden Brötchen und die mit Fleisch und Pilzen gefüllte Pastete in Papier eingewickelt auf den Tresen. Er wollte gerade bezahlen und dann gehen, als seine Neugier die Oberhand gewann.
„Mir ist aufgefallen, dass der Süßwarenladen immer noch geschlossen ist”, erklärte er so beiläufig wie möglich.
Muriel seufzte. „Ja. Heather meinte, sie sei noch nicht dazu in der Lage, diese Woche zu öffnen. Sie tut mir so Leid. Ihre Tante war alles, was sie noch hatte, und nun ist sie von uns gegangen. Krebs ist wirklich eine schreckliche Krankheit!”
„Stimmt”, bestätigte Jason, während er ihr eine Fünfdollarnote reichte.
Sie öffnete die Kasse, um das Wechselgeld herauszunehmen. „Wenn es bei mir so weit ist, möchte ich nicht leiden, sondern im Schlaf an einem Herzinfarkt sterben. Ehrlich gesagt, hat es mich überrascht, dass Ivy noch so lange gelebt hat. Als Doc Brandewilde sie letztes Jahr zur Chemotherapie in dieses Krankenhaus in Sydney eingewiesen hat, habe ich ihr nur noch ein paar Tage gegeben. In gewisser Weise ist es für Heather wohl eine Erleichterung, weil sie sie nicht mehr leiden sehen muss. Aber sie wird schrecklich einsam sein.”
„Das glaube ich auch. Es ist komisch, dass ein hübsches Mädchen wie Heather keinen Freund hat”, sagte er mit Unschuldsmiene.
Muriel warf ihm einen scharfen Blick zu. „Sicher hat Ivy Ihnen von Heather und Dean Ratchitt erzählt.”
„Ich kann mich nicht entsinnen, dass sie jemanden mit diesem Namen erwähnt hat”, erwiderte er wahrheitsgemäß. Der einzige Ratchitt, den er kannte, war Jini Ratchitt, ein griesgrämiger alter Kerl, der auf einer heruntergekommenen Farm außerhalb der Stadt lebte. „Ist er mit Jim Ratchitt verwandt?”
„Er ist sein Sohn. Eigentlich kann ich es Ihnen ja sagen”, erklärte sie, während sie Jason das Wechselgeld reichte. „Vor allem wenn Sie ein Auge in die Richtung werfen.”
„Wovon reden Sie, Muriel?”
„Von Heather und Dean natürlich.”
„Waren die beiden ein Paar?”
„Das weiß ich nicht. Dean mochte freizügige Mädchen, und Heather ist alles andere als das, denn Ivy hat sie nach ihren Wertvorstellungen erzogen. Heather träumt von einer Hochzeit in Weiß und glaubt an den heiligen Stand der Ehe. Aber wer weiß?
Dean war ein echter Frauentyp, und sie war mit ihm verlobt, wenn auch nur kurz.”
„Verlobt?” Davon hatte Ivy nichts gesagt.
„Ja. Sie haben ihre Verlobung bekannt gegeben, bevor Ivy ins Krankenhaus gekommen ist. Das hat hier für einiges Aufsehen gesorgt, denn Dean hatte noch im Monat davor einem anderen Mädchen aus der Stadt den Hof gemacht. Jedenfalls trug Heather einen Ring von ihm, als sie mit Ivy nach Sydney gegangen ist. Als sie einige Monate später zurückgekommen sind, hatte sich hier schon herumgesprochen, dass Dean die jüngste der Martin-Töchter in Schwierigkeiten gebracht hatte.”
„War das die, mit der er vorher zusammen war?”
„O nein, das war
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