Die Ökonomie von Gut und Böse - Sedlacek, T: Ökonomie von Gut und Böse
Eicheln essen. 17
Die unsichtbare Hand des Marktes und ihre Prototypen
Mandeville gründet seine Gesellschaftsphilosophie explizit auf das Prinzip der Selbstliebe, des Egoismus – also gerade auf das, wovon Adam Smith sich (wie wir bald sehen werden) schon im ersten Satz seiner Theorie der ethischen Gefühle distanziert. Wenn wir das Böse (unsere Selbstsucht) in uns beseitigen würden, würde der Wohlstand Mandeville zufolge schnell enden. Der Mechanismus sieht so aus: Jedes Laster bedeutet auch eine effektive Nachfrage, entweder nach Gütern (luxuriöser Kleidung und Nahrung, prachtvollen Gebäuden usw.) oder nach Dienstleistungen (Polizei, Verwaltung, Anwälte usw.). Eine entwickelte Gesellschaft lebt laut Mandeville primär von der ökonomischen Befriedigung dieser Bedürfnisse.
Die These, dass das Böse des Einzelnen zum Guten des Ganzen beiträgt und es daher nicht ratsam ist, dieses Böse auszulöschen, begegnet uns auch in viel älteren Schriften häufig. Wir wissen ja schon, dass sowohl Gilgamesch als auch der heilige Prokop sich mit Kräften anfreundeten, die sie nicht zähmen konnten, und das Böse so transformierten, dass es dem Wohl der Gesellschaft förderlich war. Jesus lehrte seine Jünger, das Unkraut nicht auszureißen: »… sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasst beides wachsen bis zur Ernte.« 18 Und Thomas von Aquin schreibt: »In den Dingen gibt es vieles Gutes, das gar keinen Ort hätte, wenn es nicht das Schlechte gäbe.« 19
Es war Pech für Mandeville, dass er diese Quellen offenbar nicht kannte; wenn er auf sie verwiesen hätte, hätte er sich nämlich mit Sicherheit einen Großteil der Kontroverse erspart, die seine Fabel hervorrief.
Schlusswort: Mandeville, der erste moderne Ökonom
Mandeville war der Hauptvertreter der Philosophie, laut der wir Gier brauchen . In diesem Sinne ist Gier die notwendige Bedingung für den Fortschritt einer Gesellschaft, ohne sie würde es keinen oder kaum Fortschritt geben. Wo wären wir denn ohne Gier und ohne Laster?, fragt er. Die Gesellschaft würde nur eine sehr elementare Entwicklungsstufe erreichen und wäre nicht in der Lage, sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten. Mandeville war eindeutig ein Befürworter des hedonistischen Programms: Wenn zwischen dem, was wir haben wollen, und dem, was wir bereits besitzen, eine Diskrepanz besteht, sollten wir es uns zum Ziel setzen, unseren Besitz zu vergrößern, bis er unseren Wünschen entspricht. Er geht sogar noch weiter als die Hedonisten: Unsere Nachfrage muss immer weiter wachsen, denn das ist seiner Meinung nach der einzige Weg zum Fortschritt. In dieser Hinsicht ist die moderne Ökonomie aus seinem Denken erwachsen. Sie setzt nämlich voraus, dass die menschlichen Bedürfnisse unbegrenzt sind (ständig wachsende Nachfrage), die Ressourcen hingegen knapp. Wir müssen uns daher bemühen, diese knappen Ressourcen so zu nutzen, dass die Nachfrage befriedigt wird.
Heißt das, dass der einzige Weg zum Fortschritt darin besteht, neue Bedürfnisse zu erfüllen, und dass wir dafür immer neuere verlockende Laster brauchen? Würde es letztlich das Ende einer Gesellschaft bedeuten, wenn sie sich entschließen würde, sich mit dem zufriedenzugeben, was sie hat (was die Stoiker ja bei ihrem Programm vorzuschlagen scheinen)?
Im Hinblick auf die Ökonomie von Gut und Böse ist Mandeville ganz offensichtlich überzeugt, dass die privaten Laster zum öffentlichen Wohl beitragen und daher von Vorteil sind. Seine Auffassung ist der der Hebräer (und der von Adam Smith) – die glaubten, Tugend sei wirtschaftlich gesehen nützlich, das Laster hingegen nicht – genau entgegengesetzt. Was das Konzept der unsichtbaren Hand des Marktes angeht: Nach Ansicht von Mandeville sind die Märkte nicht nur Koordinatoren der menschlichen Interaktionen, sondern können auch persönliche Laster in Tugenden und damit in öffentliche Vorteile verwandeln.
TEIL II BLASPHEMISCHE GEDANKEN
Ohne Leid ändert sich nichts, schon gar nicht die menschliche Natur.
C.G. Jung
Wozu sind all diese alten Geschichten, babylonischen Mythen und Gleichnisse aus dem Neuen Testament gut? Was kann die (post)-moderne Ära, insbesondere die Ökonomie, aus diesen alten Symbolen lernen? Was kann dieses Denken uns bringen, insbesondere zur Zeit einer Schuldenkrise, wo wir doch ohnehin schon genug Sorgen haben?
Der Psychologe Carl Gustav Jung war überzeugt, dass das Denken und die Weltanschauung des Menschen sich in
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