Die Ökonomie von Gut und Böse - Sedlacek, T: Ökonomie von Gut und Böse
Auffassung vom Nutzen und von der Moral kann man die alten Hebräer wohl zwischen den Stoikern und den Utilitaristen einordnen. Sie neigen stärker zu einer positiven Betrachtung der Nützlichkeit als die Christen. Das Alte Testament bewertet die Freuden eindeutig positiv: Der Mensch soll »sich freuen« und »heiteren Herzens sein«. Es wendet sich nicht gegen die Maximierung des Nutzens an sich, doch sie darf nicht über bestimmte (von Gott gegebene) Regeln hinausgehen. Die Hebräer glaubten somit im Rahmen bestimmter Grenzen an die Nutzenmaximierung. Eine Stelle aus dem Buch Kohelet bringt das wunderbar zum Ausdruck: »Freu dich, junger Mann, in deiner Jugend, sei heiteren Herzens in deinen frühen Jahren! Geh auf den Wegen, die dein Herz dir sagt, zu dem, was deine Augen vor sich sehen. Aber sei dir bewusst, dass Gott dich für all das vor Gericht ziehen wird.« 1
Die alttestamentlichen Hebräer waren nicht gegen die Lüste. Sie verurteilten gute Taten definitiv nicht, weil sie belohnt wurden, und teilten die (mehr oder weniger aufrichtige) Gleichgültigkeit der Stoiker gegenüber dem Nutzen nicht. Im Gegensatz zu vielen Christen verdammten sie die körperlichen Freuden nicht, sondern betrachteten sie als natürlichen Bestandteil von dem, was Gott uns gegeben hat. Der Lohn für ihre Handlungen (und damit die Freude als Nutzen) wurde nicht aus dieser Welt entfernt, wie im Christentum, sondern in sie gestellt. Anders als die Hedonisten glaubten sie aber, dass die Lust den Regeln untergeordnet sei; das Anstreben von Nutzen hatte also klare Grenzen.
Der Utilitarismus
Vor den Epikureern müssen wir auf unserer Achse noch J. S. Mills Utilitarismus einordnen. Er beruht zwar auf ähnlichen Grundlagen, will den menschlichen Egoismus aber durch die Einführung der Institution des unparteiischen Beobachters überwinden.
Der totale Utilitarismus ist nicht selbstsüchtig ; er stellt das Wohl des Ganzen an die erste Stelle und damit über das Wohl des Einzelnen. Falls die verminderte Nützlichkeit für Individuum Y kleiner ist als der damit verbundene proportionale Anstieg der Nützlichkeit für das Ganze (oder für ein anderes Individuum), stimmt Individuum Y (freudig und freiwillig) der Verminderung seiner eigenen Nützlichkeit zu, im Interesse des Ganzen (oder des zweiten Individuums). Mandevilles Bienen hätten das nie getan.
Dennoch ist Mill im Hinblick auf die Moralität der Nützlichkeit längst nicht so selbstsüchtig wie die Hedonisten. Der Unterschied ist leicht zu erkennen: Die Hedonisten betrachten die Maximierung des persönlichen Nutzens als Summum Bonum, Mill hingegen geht es um die Maximierung des ganzen Systems . Ihm zufolge kommt es bei einer gegebenen Handlung nicht auf die Maximierung des Nutzens des Akteurs an (wie beim Realismus der Hedonisten, der die Lehren Machiavellis widerspiegelt), sondern auf die Maximierung des Nutzens des gesamten Systems.
Epikur
Als intellektuelle Konkurrenten der Stoiker beurteilen die Epikureer (Hedonisten) die Moralität ihrer Handlungen ausschließlich nach dem dadurch erlangten Nutzen; sie sind die ersten Verfechter des berühmten Satzes »Der Zweck heiligt die Mittel«. Wir bewegen uns auf unserer Achse von Gut und Böse jetzt also in Terrain, wo man das Böse und das Laster toleriert. Natürlich brauchen die Epikureer die sündhaften Mittel, um ihre geheiligten Ziele zu erreichen. Wenn das Ziel gut ist, wenn es stärker zur Maximierung des Wohls des Ganzen beiträgt als alle Alternativen, wird es zu einem legitimen Mittel. Die Epikureer sind die erste Schule auf unserer Liste, die keine externen, von außen gegebenen Regeln anerkennt. Das ist ein erheblicher argumentativer Vorteil, da die Verteidigung abstrakter Regeln, die generell und für alle Zeiten gelten, alle Schulen von den Stoikern bis zu Kant vor ein Problem stellt. Der Hedonismus (und seine moderne Form, der Utilitarismus) braucht kein abstraktes System. Das Gute lässt sich beobachten und berechnen, es liegt im System und in der Situation selbst.
Wir würden den Epikureern und ihren Nachfolgern allerdings unrecht tun, wenn wir nicht hervorheben würden, dass sie sich auch um die Minimierung des Bösen bemühten – im Gegensatz zu Mandeville, nach dessen Ansicht das Böse für das richtige Funktionieren einer fortschrittlichen Gesellschaft nötig ist. Er versuchte nicht, es zu minimieren, da das die Stabilität und den Wohlstand seines Bienenstocks gefährdet hätte.
Die Mainstream-Ökonomie
Wenn wir
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