Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
Kunst, das ist doch am Ende alles dasselbe«, sagte er. Und: »Man braucht eben den gewissen Biss.« Bei dem Wort Biss schloss er seine Hand ruckartig zur Faust, als finge er ein Insekt, und das goldene Uhrband klickte unter seinen Manschettenknöpfen.
Behaglich lehnte er sich zurück, breitete die Arme rechts undlinks auf der Sofalehne aus. Er erklärte Tom jetzt, dass es ja auch wirklich nicht einfach sei, beispielsweise einem Mitarbeiter, der nicht mehr genug leiste, nahelegen zu müssen, zu gehen, ihm nahebringen zu müssen, dass seine Leistungen den, übrigens ständig wachsenden, Anforderungen nicht mehr genügten. »Dass es nicht reicht, was Sie bringen, muss ich zu x oder zu y sagen, der vielleicht Familienvater ist und natürlich nichts mehr finden wird, so wahr ich ihm gegenübersitze. Das dem x oder dem y ins Gesicht hinein zu sagen«, sagte Hermanns, »das fällt mir oft nicht leicht, eine gesamte Existenz auszulöschen in einer Minute, das dürfen Sie mir gerne glauben«, sagte Hermanns zu Tom, der es gerne glauben wollte. »Aber wir alle sind letztlich doch nur Details im großen Schaltplan.«
Hermanns blickte nachdenklich auf seinen Schuh, der auf und ab wippte. Plötzlich schnellte sein Oberkörper nach vorn, seine Augen waren jetzt Fühler, die sich nach Tom ausstreckten. »Oder?«, sagte er beschwörend. »Was ist wichtig im Leben? Sagen Sie es mir!«
Tom roch das Rasierwasser, das ihm entgegenkroch, presste seinen Rücken ins Polster, während die blauen Hermannsaugen ihn befühlten, und bevor er über den Schwierigkeitsgrad der Fragestellung verzweifeln konnte, sagte er leise: »Liebe, Musik, Freundschaft.«
Die Stille, die nun folgte, war groß, zumal auch »Hey Jude« im Fade-out verklungen und die CD zu Ende war. Hermanns fixierte Tom, hielt ihn mit seinem Blick gefangen, er hätte nicht aufstehen können.
»Sie sind sehr jung, nicht?«, sagte er langsam.
»Fünfundzwanzig«, flüsterte Tom, dachte aber sofort, ich hätte nicht antworten sollen, denn dies war keine Frage, sonderneine Aussage fast philosophischer Art, mit meiner Antwort aber habe ich mich als dumm, mindestens als einfach disqualifiziert.
»Genießen Sie es«, sagte Hermanns. »Es wird nicht immer so bleiben.« Noch einen Moment lang hielt er ihn fest, dann gab er ihn abrupt frei, wie man ein gespanntes Seil plötzlich aus den Händen gleiten lässt, und lehnte sich zurück.
»Was zum Knabbern?«, sagte er und erhob sich, ohne die Antwort abzuwarten.
Die Knabbereien, wie er es nannte, die er bereitstellte, nachdem er viele verschiedene Türen verschiedener Schränke und Kommoden geöffnet und es lange gedauert hatte, bis er noch eine passende Schüssel dazu gefunden hatte, waren Marken-Chipsletten / Paprika, und Tom, der sich eigentlich hatte verabschieden wollen, aber nicht von seinem Sessel hatte aufstehen können, so als wäre er bereits mit dem Sitzmöbel verschmolzen, bediente sich davon und aß, bis sie leer waren. Währenddessen sprach der Gastgeber über seine Frau, die abwesende Gastgeberfrau, was den Gast natürlich interessierte, mehr als die nichtsnutzigen Kinder.
Denn da waren sie ja stehen geblieben, »wir sprachen über meine Frau«, sagte Hermanns. Anne sei ja sehr sensibel, sagte er.
Anne. Der Klang dieser beiden Silben fuhr in Toms Inneres wie ein Blitz, der das Fenster eines Hauses durchschlägt, die Stube verwüstet. Er stopfte sich eine Handvoll Chips in den Mund, das Kaugeräusch explodierte zwischen seinen Ohren, übertönte aber nicht den Klang dieses Namens.
Hermanns sei ja froh, sagte er, dass ihr das Klavierspielen Spaß mache, dass es ihr offenbar liege . Die Abwesenheit der Kinder und einer anderweitigen Lebensaufgabe hinterlasse eineLücke in diesem Haus. Anne sei ja, sagte er, eigentlich Lehrerin, sei Deutschlehrerin gewesen, habe aber nur drei Jahre gearbeitet, bevor die Kinder gekommen seien, und tja, er wisse ja, »Sie wissen ja, wie es dann eben immer so geht«, sagte er und fügte hinzu, dass er selbst ihr aber nie Steine in den Weg gelegt habe. Sie hätte weiterarbeiten können, selbstverständlich, zumindest als die Kinder groß gewesen seien. »Aber dann ging es nicht mehr, es ist einfach nicht mehr gegangen. Es hat sie fertiggemacht, psychisch«, erklärte Hermanns und sah bekümmert durch Toms Schulter und auch noch durch den Sessel hindurch. Er seufzte. Ein bisschen fotografiert habe sie dann, sagte er, ein paar Jahre lang, ganz hübsche Sachen zum Teil, sogar eine Ausstellung
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