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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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Thema gewechselt oder ausgeweitet ins Allgemeine, indem er das Bein überschlug und auf seine kreisende Schuhspitze hinabblickte und darüber redete, dass die Zeiten damals eben alles in allem ganz andere gewesen seien. Die Zeiten damals seien noch von Begeisterung durchdrungen gewesen, im Gegensatz zu der heutigen Zeit, die ihrerseits nur mehr satt und saturiert und deshalb müde sei und auch träge, so Hermanns, denke er an die jungen Leute von heute. »Keine Überzeugungen mehr«, sagte er und schüttelte bedauernd den Kopf. »Auch was den Musikgeschmack betrifft nicht«, sagte er.
    »Und Ihre Kinder?«, sagte Tom, um von sich selbst abzulenken.
    Hermanns neigte das Ohr.
    »Was hören denn Ihre Kinder so?«
    »Ach Gott!«, sagte er. »Reden Sie mit Ihren Eltern über Musik?« Aber er wartete keine Antwort ab, sondern erklärte, dass Kinder im Allgemeinen ihren Eltern nicht das Geringste, so nannte er es, von sich preisgäben, dass Kinder vor ihren Eltern im Gegenteil nichts als vorgefertigte Gemeinplätze über ihr Leben abspulten, ja wiederkäuten, und dass sich die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern aus diesem Grund auf die allgemeinsten Gemeinplätze sowie auf Informationen über Finanzielles, Versicherungsverträge, Bausparverträge und Ähnliches reduziere. Das, was hingegen wirklich laufe, so Hermanns, »das wirst du nie erfahren«, sagte er wie zu sich selbst, aber »so ist es nun mal«, sagte er, »war bei uns damals wohl nicht anders, wenn es auch nicht gerade erfreulich ist.«
    Kälte machte sich breit und strich über die Dinge im Raum, die Sitzgruppe, den Tisch, den Hals der Karaffe, deren Verschluss leise klirrte. Das Fell der schlafenden Hunde, die um keinen Preis geweckt werden durften, sträubte sich auf, und ein Schauer überlief auch Toms Rücken. Leise wechselte er die Stellung seiner Beine.
    Hermanns aber hatte sich eine andere Fernbedienung genommen, mit der er jetzt die Lichtstimmung zum Gemütlicheren hin nachregelte. Tom staunte, denn eine derartige Fernbedienung hatte er noch niemals gesehen.
    »Wie macht sie sich denn?«, fragte der Gastgeber, plötzlich wieder aufgeräumt, indem er seinen Rücken behaglich am Sitzpolster zurechtschob.
    »Wie bitte?«
    »Meine Frau.«
    Tom fürchtete, die Flammen könnten zu sehen sein, die von innen an seine Gesichtshaut schlugen. Er griff sich ans Kinn, um wenigstens einen Teil dieser seiner durchleuchteten Haut zu überdecken. Hermanns aber schien nichts aufzufallen, er hörte.
    »Gut«, sagte Tom. »Sehr gut. Sie ist, sie spielt mit viel Gefühl. Sie macht große Fortschritte«, sagte er, was die Wahrheit war oder das, was er dafür hielt, und sich doch wiederum anhörte wie eine ungeheuerliche Lüge.
    Hermanns aber schien erstaunt, offenbar hatte er anderes erwartet. »Tatsächlich?«, sagte er und wiegte den Kopf. »Schön«, sagte er, »sehr schön«, und er lächelte langsam, indem er aber die Augenbrauen zusammenzog und gleichzeitig anhob über der Nasenwurzel, als hörte er eine bittersüße Passage eines Mahler-Adagios. Wieder wurde er nachdenklich. Das Nachdenkenfüllte ihn ganz aus, so sehr, dass es durch seine Augen nach draußen drang und auch Tom einhüllte, der ebenfalls ganz nachdenklich wurde. Es wurde geschwiegen und nachgedacht. Hermanns fixierte dabei seinen Fuß, der in feinstem Leder steckte und elegante Kreise beschrieb. Tom sah auf den Tisch hinab und stellte sich vor, wie Frau Hermanns’ schlanke weiße Hand schon oft darübergestrichen und einen Gebäckkrümel oder auch ein Hundehaar entfernt hatte.
    »Wissen Sie«, sagte Hermanns zu seinem Schuh, »sie ist viel allein. Oft viele Tage allein.« Er sagte es, wie man etwas über einen Menschen sagt, der gestorben ist und aber auch schon wieder lange tot ist, wie man jetzt feststellt, was einen erstaunt. So spricht er über seine noch lebende Frau, dachte Tom, aber er tut es immerhin im Präsens.
    »Natürlich hat sie die Hunde, aber die Hunde«, Hermanns lachte nachdenklich, »sind natürlich keine Kinder!«
    Natürlich nicht, dachte Tom, sagte es aber nicht, da er nicht wusste, ob Kommentare seinerseits überhaupt erwünscht waren.
    »Ich muss ja viel reisen«, sagte Hermanns. »Schon immer viel reisen, wissen Sie, und seit die Kinder aus dem Haus sind, ihre eigenen Wege gehen, wie man so sagt, ist es hier recht still geworden.«
    Tom wusste nicht, inwiefern das, was sein Gastgeber sprach, für die Ohren seines Gastes oder allgemein für die Luft, für die

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