Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
Erdatmosphäre, die ihn umgab, bestimmt war, aber da er nun einmal da war und auf der Welt war, genauer: in der Sofagruppe der Hermanns’ war, hörte er, was sein Gastgeber sagte, und es war viel. Die Kinder nämlich, so Hermanns, gaben zwar vor, eigene Wege zu gehen, aber in Wirklichkeit seien sie noch immer, nach wie vor, ja mehr denn je auf die Eltern angewiesen, »auf unseren gesellschaftlichen Background angewiesen«, sagte er, und Tom wusste nicht, ob Hermanns nun wieder allgemein redete, ob es sich um das Kind im Allgemeinen handelte oder um die eigenen persönlichen Hermannskinder, als er sagte: »Da hat man Kinder aufgezogen, hat auch so manches Opfer ihretwegen gebracht, und dann merkt man es irgendwann eben nur noch an den Bankauszügen, dass man überhaupt Kinder gehabt hat.«
»Aber sie waren doch erst Weihnachten da«, warf Tom in den Raum, und der Satz wurde vom sportlichen Hermanns sofort aufgefangen wie ein Ball, aber verwundert angesehen und in der Hand herumgedreht.
»Sie kommen schon seit Jahren nicht«, sagte er. Und wie er darauf komme, denn mit Udo, dem Sohn, herrsche, »nennen wir es Funkstille«, er nehme sich gerade, wie es der Sohn ausdrücke, eine Auszeit , um sich selbst zu finden, zitierte Hermanns den Sohn, indem er, begleitet von einer fragenden Handbewegung, dessen Tonfall offenbar nachzuahmen versuchte, und Patrizia, die Tochter, habe immer unglaublich viel zu tun. Sie sei so etwas Ähnliches wie eine Schauspielerin, was aber natürlich ein weiter Begriff sei, Schauspielerin , was man eben so unter einer Schauspielerin verstehen könne, sagte Hermanns, »jedenfalls macht sie Theaterperformances, oder wie man das nennt, in irgendwelchen New Yorker Kellern und hält es für Kunst«, sagte er. »Aber gut«, sagte er, » Sie sind ja auch Künstler, ich dagegen bin nur Geschäftsmann!«
Tom, der seinen Rücken streckte, denn eine eingesunkene Körperhaltung schien ihm angesichts der Situation unangemessen, befühlte mit seinen neben den Oberschenkeln liegendenHänden die Struktur des Sofastoffes, indem er mit den Fingernägeln die feinen Rillen nachfuhr, aber so, dass es Hermanns nicht merkte. Sein Gastgeber schwieg jetzt und beobachtete durch das Fenster, wie auf den Garten die Dämmerung herabsank. Dabei veränderte sich die Breite der Augenspalten ständig, als wollte er seine Sehschärfe prüfen. »Verstehen Sie mich nicht falsch«, sagte er mit einem kurzen Seitenblick in diejenige Richtung, in der er offenbar seinen Gast vermutete, »ich habe ganz bestimmt nichts gegen Kunst, sicher nicht. Ich liebe Kunst, ich finde sie wunderbar, Kunst ist ein Luxus«, er schlug ein Stäubchen von seinem Knie, »und Luxus, ich bitte Sie, ist wunderbar! Ich bin sicher der Letzte, der etwas gegen Luxus einzuwenden hätte, das dürfen Sie mir glauben!«
Tom nickte. Während er mit den Fingernägeln die Sofarillen nachfuhr, überlegte er, warum die Klavierschülerin ihm erzählte, dass die Kinder Weihnachten zu Hause gewesen seien und Spiegelreflexkameras und Pullunder geschenkt bekommen hätten, wo sie überhaupt nicht da gewesen und die Geschenke bestenfalls mit der Post erhalten haben, warum sie nicht ehrlich mit ihm sein kann, denn er ist es ja auch. Er ist immer ehrlich mit ihr, sie ist es nie. Ihren Mann kann er das schlecht fragen. Ihr Mann, der mit schmalen Augen in die Dämmerung hinausstarrte, schien zu überlegen und zu überlegen, und dann, weil er genug überlegt hatte, sagte er, dass die Kunst, die seinetwegen ja ruhig existieren solle, die ja seinetwegen machen könne, was sie wolle, dass diese Kunst aber in der Lage sein müsse, sich selbst zu finanzieren. »Alles andere ist doch Humbug«, sagte er laut. Es könne ja nicht, sagte er immer noch laut, angehen, dass man sich von seinen Eltern durchfüttern lasse, »von den Eltern, die ja sooo materialistisch sind«, sagte er, »die ja außer Geld garkeine anderen Werte haben, ja diese anderen Werte nicht einmal mehr kennen , sich diese Werte ja nicht einmal mehr vorstellen können, weil sie sie verraten und verkauft haben«, so die Tochter Patrizia, so ihr Vater, und so könne es doch nicht angehen, dass diese Tochter Patrizia auf Kosten des bösen, bösen Geldes, des verabscheuten Elterngeldes, in New Yorker Kunstkellern rumhample und gesellschaftskritische und antimaterialistische und antiamerikanische Kunst mache und andererseits aber das Geld der Eltern immer gern genommen und nie abgelehnt habe. »Oder?«, fragte er direkt in die
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