Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
Vom Netzwerk:
ging schwer. Er drückte ihr Handgelenk, dass es weh tat. Von so nah waren seine Augen meerfarben, tief. Gern hätte sie sich übergangsweise in ihn verliebt.
    Tom Holler in Genua spielte derzeit ein Solo über a-Moll, C-Dur, H7 und dachte schlechtgelaunt an eine Zigarette.
    »Lass uns gehen«, flüsterte sie, ohne zu wissen, was genau sie damit meinte.
    Er zahlte. Sie liefen an den Musikern vorbei zur Garderobe, Carlo nahm vom Kellner die Jacken entgegen, ihren Cordanorak, der gar nicht zum Kleid passte, und seinen dunkelblauen Lodenmantel, die allgemeine Uniform gut betuchter Neapolitaner. Augenblicklich verwarf sie den Gedanken, sich je in ihn verlieben zu wollen. Als sie in seinem Auto saßen, dachte sie an Alfredo, wie er in seinem römischen Hotelzimmer auf dem Bett läge, heimlich fernsähe und sich über das Programm aufregte. Oder wie er las und sich Notizen am Rand machte mit seiner sehr feinen Bleistiftschrift und dann eindöste, mit dem Buch auf der Brust.
    Carlo fuhr schweigend. Er parkte bei einem Hotel in der Via Mergellina. Das Meer tat, als schliefe es. Es hielt sich die Augen zu, als Betty ausstieg und hinter Carlo herging, auf den Eingang des Hotels Marina zusteuerte, durch die gläserne Drehtür hineinglitt, und es ignorierte auch den kurzen Dialog ihres Begleiters mit dem diskret lächelnden Portier, den Betty etwas abseits auf einem Bein stehend nur aus dem Augenwinkel beobachtete, als ginge es sie nichts an. Das Meer jenseits des vierspurigen Lungomare wollte weder von der Schlüsselübergabe Notiz nehmen noch davon, wie Betty und Carlo die Treppe in den zweiten Stock hinaufstiegen, als wäre dies ihr seit Jahrzehnten auf einer Landkarte vorgezeichneter Weg.
    Betty aber sah alles. Jeden Gegenstand in diesem neapolitanischen Mittelklassehotel nahm sie mit besonderer Schärfe wahr: das Geländer der Treppe, lang und gebogen und aus Messing,dass es matt glänzte; die Lampen an der Wand, die sie hinaufbegleiteten, hinter rostroten, kegelförmigen Schirmen. Dazwischen alte Schwarzweißfotografien neapolitanischer Sänger, wie sie erstaunt feststellte, Caruso, Francesco Albanese, Sergio Bruni, Aurelio Fierro, Renato Carosone, Claudio Villa (der allerdings Römer war). Die Tapete unter den Fotos schimmerte dunkelrot im Licht, feine Blumenornamente. Im ersten Stock sah man eine kleine Sitzgruppe, auf dem niedrigen Tischchen eine Vase mit Nelken (Seidenblumen). Eine Tür mit der Nummer 12, eine messingfarbene Aufschrift, schnörkelige Zahlen, ihr eigener Schatten, der über den Teppich streifte, und auf der Treppe vor ihr Carlos Rücken im dunkelblauen Lodenmantel, darüber sein Haar, das lockig vom Kopf abstand.
    Als er im zweiten Stock die Tür aufschloss, fragte sie sich, wie oft er dies schon getan hatte. Da er, wie die meisten unverheirateten Neapolitaner unter 35, noch bei seinen Eltern wohnte, hatte er sich offenbar eine gewisse Routine in der Buchung von Hotelzimmern angeeignet. Es war normal und besser immerhin, als wenn er mit ihr zu jener berühmten Aussichtsplattform in Posillipo gefahren wäre, hoch über dem Meer, die weniger finanzkräftige Paare aufsuchten, um die Scheiben ihrer Autos für einige Stunden mit Pappkartons zu verdunkeln. Trotzdem war sie sich in diesem Moment sicher, dass er eine Freundin hatte, eine Verlobte vermutlich, die auf einem völlig anderen Blatt stand. Und es erleichterte sie.
    Er ging ihr ins Zimmer voran, Straßenlicht kam durch das hohe schmale Fenster, klebte ein Rechteck auf den Fußboden. Darin stand Carlo. Mit einem Mal sah er unsicher aus, während er in diesem fremden Zimmer stand. Noch immer hielt er den Schlüssel in der Hand, legte ihn jetzt auf den kleinen Tischneben dem Fernseher. Und in diesem Augenblick lernte Tom in Genua ein rothaariges Mädchen kennen. Betty schloss die Tür hinter sich. Sie stand in Kleid und Anorak und dachte an die Prinzessin, die sie als Kind einmal zum Fasching gewesen war. Weil es kalt gewesen war und Schnee in der Luft wehte, hatte sie eine dicke, sehr wenig königliche Winterjacke über ihrem federleichten Kostüm getragen. Tom wunderte sich über das Haar des rothaarigen Mädchens, das fest und wie die Windungen riesiger Schrauben über ihren Schultern stand. Carlo tat einen großen Schritt auf Betty zu und ging vor ihr in die Knie. Er umfasste ihre Hüften und drückte seinen Kopf in ihren Bauch. Sie erschrak. Ihre Arme hingen wie ratlos herab. Dann aber erinnerte sie sich, dass Süditaliener einen ausgeprägten Sinn

Weitere Kostenlose Bücher