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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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langen Fensterfront.
    »Man könnte denken, dass nichts dahinter ist«, sagte Betty leise.
    Tom in Genua spielte eine Harmonieverbindung von g-Moll nach H-Dur.
    Carlo Vitelli erschrak. Offenbar hatte er nicht mehr damit gerechnet, dass Betty Morgenthal an diesem Abend noch sprechen würde, und sich gewöhnt: an ihren stummen Anblick, die Silhouette ihres abgewandten Gesichts vor dem nächtlichen Panorama.
    Tom Holler spielte Triolen in e-Moll.
    Was sie meine mit nichts dahinter, fragte er, nachdem er sich geräuspert hatte.
    »Vielleicht sind es nur Lichter, keine Schiffe, keine Hafenanlagen, keine Sterne, keine Wohnhäuser. Vielleicht einfach nur Lichter, so wie wir es sehen. Vielleicht ist nichts dahinter«, sagte sie. Schnell schüttelte sie den Kopf, wie um eine störende Haarsträhne oder einen Gedanken zu entfernen. »Ach was.« Sie lachte, aber um einige Halbtöne höher als gewöhnlich, was jemand, der sie besser kannte, sofort bemerkt haben würde, ihr junger Kollege aber nicht. In einer anfangs zögernden, dannsehr raschen Bewegung streckte sie ihre Hand aus und legte sie auf diejenige Vitellis. Sie spürte, wie durch diesen gepflegten Körper neben ihr ein Ruck ging, was sich an einer leisen Bewegung der Hand bemerkbar machte, einem leichten Vibrieren seines Unterarms hinter dem fein karierten Stoff seines Hemdes. Misstrauisch sah sie auf diese beiden Hände hinab wie auf ein Tier, das plötzlich losspringen könnte. An ihrer ihm zugewandten Wange fühlte sie seinen schweren Blick.
    Sie dachte an Tom. Tom dachte an Betty.
    Als der Kellner den Wein servierte, einen 96er Chianti – denn man trank hier Chianti, keineswegs den heimischen Wein, der als ordinär galt –, zog sie ihre Hand zurück und legte sie artig auf das weiße Tischtuch. Die beiden Hände lagen jetzt nebeneinander wie zwei tote Fische.
    Zu reden hatten sie nichts. Carlo Vitelli schaute viel, und sie trank. Endlich kam das Essen: Das waren Krebspastetchen zur Vorspeise, Spaghetti mit Muscheln und Dorade. Es war vorzüglich, aber wenig. In der Kantine kochten sie genauso gut, aber mehr, sagte Betty. Carlo Vitelli lächelte nur, leuchtete mit diesem Lächeln in ihr Gesicht. Es schien ihn nicht zu stören, dass sie abends noch Cappuccino trank und viel Wein, außerdem aß für zwei. Sie fühlte, dass sie gut aussah, an diesem Abend. Sie hatte sich in ein dunkelblaues Stück Stoff hinein verkleidet, das eng an den Seiten hinabglitt und Arme und Dekolleté vorteilhaft ausschnitt. Sie zog es nie an. Sie hatte es für die Hochzeit von Paola und Sergio gekauft und nur ein paar Mal getragen, obwohl Alfredo es mochte. Es war viel zu teuer gewesen, aber Alfredo hatte seine Arme ausgebreitet, hatte zum Himmel geblickt, die mit Renaissancefresken verzierte Decke einer Boutique in der Via Chiaia, und in seinem antiquierten Deutsch ausgerufen,sie gleiche einem Fabelwesen (er meinte Fee), sie müsse es haben, koste es, was es wolle. Sie aber fühlte sich darin wie in einem unheizbaren Palast im Winter.
    Als man beim Dessert war, betrat ein kleines Mandolinenorchester das Restaurant, stellte sich im vorderen Teil auf. Die kratzenden, flirrenden Sopranstimmen der Instrumente, ein Heer blecherner Grillen, schrammelten die Exposition von »Torn’ a Sorriento«, dann begann der Gesang, ein Tenor, hell, etwas rau, der zu einem sicher siebzigjährigen untersetzten Mann mit kräftigen Händen gehörte, der gewiss nicht am Konservatorium studiert hatte. Wenn sie solchen Gesang hörte, dann staunte Betty über das Wunder der menschlichen Stimme, die ohne Ausbildung, ohne angelernte Technik den Raum erleuchtete, wie ein Morgenaufgang eine Landschaft.
    Carlos blasse Hand legte sich auf ihre. Er sagte etwas, das sie nicht verstand, weil ihre Ohren von der Musik erfüllt waren, von deren langen Kantilenen voller Verschleifungen, orientalisch anmutender Halbtonschritte. Sie drehte ihren Kopf zu ihm, schloss die Augen und sagte: »Küss mich«, Pause, »bitte.« Also küsste er sie. Die Lippen näherten sich zögernd, legten sich auf ihren Mund und hinterließen zunächst nur einen leichten Abdruck. Aber weil sie noch immer die Augen geschlossen hielt, kehrten sie zurück, diesmal für länger, entschlossener. Die Lippen öffneten sich, sie fühlte seine nach Espresso schmeckende Zunge. Er küsste gut, mit der richtigen Mischung aus spielendem Raffinement und blinder Heftigkeit. Das hatte sie nicht erwartet. Als sie aufhörten, lehnte er seine Stirn gegen ihre, sein Atem

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