Die Patchwork-Luege
Schaufenstern, Cafés, Einkaufspassagen, Kaufhäusern, in U-Bahn-Stationen, auf Flughäfen und Bahnhöfen. Diese Allgegenwart macht das Fernsehen mächtig. Ob wir es wollen oder nicht: Fernsehbilder beeinflussen jede unserer sozialen Beziehungen; und sie können unsere Verhaltensweisen sogar verändern. Lothar Mikos formuliert es so: »Das Fernsehen ist ein Medium, das der symbolischen Verständigung der Gesellschaft über sich selbst dient und daher mit dem Sozialen auf doppelte Weise verbunden ist: Einerseits ist es selbst Ausdruck des sozialen Wandels, andererseits treibt es als gesellschaftliches Kommunikationsmedium diesen Wandel voran.« Fernsehen ist nichts anderes als ein sozialer Motor.
Da sich die Welt so schnell verändert, dass wir heute nicht ahnen können, was morgen passiert, setzen die Fernsehmacher der realen Verunsicherung eine erfundene Kuschelwelt entgegen, in die wir uns flüchten können. »Gelassenheit durch Fiktionalisierung« nennt das Hickethier. Das gilt besonders für die Patchworkfamilie. Hickethier spricht dem Fernsehen eine stabilisierende Wirkung zu. Anders gesagt: Es lullt uns ein. Unbewusst neigen wir dazu, die Wirklichkeit anhand fiktionaler Baupläne umzudeuten.Plötzlich ähnelt das persönliche Lebensumfeld dem der Fernsehsoap, die Grenzen verschwimmen. Studien zeigen, dass es immer mehr Fernsehkonsumenten immer schwerer fällt, zwischen wahren und Fernsehfreunden zu unterscheiden, selbst wenn das kaum vorstellbar ist. Was ist Realität? Was Fiktion?
Der Bilderterror konfrontiert uns mit dem Ungewöhnlichen, bis es gewöhnlich wird. Stellt man die Patchworkfamilie lange genug als Normalzustand vor, verschiebt sich die kollektive Wahrnehmung in Richtung einer Wirklichkeitskonstruktion, die die Wirklichkeit immer stärker dekonstruiert. »Man muss sich gar nicht an eine bestimmte Serie erinnern«, sagt Hickethier, »es ist die Gesamtheit der positiv konnotierten Patchworkbilder, die unsere Idee von Familie nachhaltig verändert.«
Das funktioniert nach simplen Mustern. Zum Beispiel nach diesem: Der eine betrügt den anderen, wird rausgeschmissen, aber kurz darauf in einer Patchworkkonstellation froh, ohne vorher überhaupt nach einer anderen Lösung gesucht und für die Ehe gekämpft zu haben. Nachdem sich die ehemaligen Ehepartner eine Zeitlang aus dem Weg gegangen sind, verstehen sie sich wieder prächtig.
Til Schweiger, den sämtliche Kritiker belächeln, dreht die derzeit erfolgreichsten deutschen Kinokomödien. Die letzte, Kokowääh , sahen bereits am Startwochenende mehr als 830 000 Zuschauer. Til Schweiger schrieb das Drehbuch, führte Regie und spielte die Hauptrolle. Im Film lebt er in einem Loft und verfasst, ganz wie im wahren Leben,Drehbücher. Eines Tages sitzt ein Mädchen vor seiner Tür, sie ist acht, sie ist niedlich, und sie ist seine Tochter; auch das trifft auf sein wahres Leben zu, denn für die Rolle hat Schweiger seine Tochter Emma gecastet, die aus der zerbrochenen Ehe mit Dana stammt. Dana sagte Journalisten gegenüber, dass ihr Exmann sie vorher nicht um Erlaubnis gefragt hätte. Sie wäre aber natürlich einverstanden gewesen, auf diese Weise würden sich Tochter und Vater wenigstens sehen. Im Film wird dann viel gelacht und über Wiesen gelaufen. Ganz nebenbei inszeniert sich Til Schweiger in Kokowääh als rührender Vater, und dieses Bild wirkt über den Film hinaus.
Manche Filme zeigen, was möglich wäre, würde der Mut der Programmmacher und nicht der Quotendruck überwiegen. Einer dieser Filme heißt Die Liebe der Kinder , er wurde nur von ein paar Programmkinos gezeigt. Regie führte Franz Müller.
Ein Mann und eine Frau, Robert und Maren. Sie lernen sich in der virtuellen Welt kennen und in der realen lieben. Sie haben beide Kinder, die Kinder sind sechzehn und siebzehn, ein Junge und ein Mädchen. Auch sie lernen sich lieben, eine andere Liebe als die der Erwachsenen, romantisch auf ihre Art und gleichzeitig eine Gefahr für die noch zarten Bande der Eltern. Die Kinder sollen Geschwister sein, zumindest im Geiste, keine Liebenden, die miteinander im Bett liegen. Das ist das Recht der Eltern. Wieso eigentlich?
Jeder Mensch hat eine Geschichte, die er mitbringt in jene, die er neu zu schreiben beginnt. Beide berühren einander.Das ist eine banale Wahrheit. Banale Wahrheiten vergisst man leicht. Solange, bis sie einem direkt vor Augen stehen.
Das Ende einer Familie öffnet ein weites dramaturgisches Feld. Zwei Menschen, die sich einander
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