Die Patin
manchmal denke ich das eben auch.«
»So ein Schwachsinn«, sagte Anne. »Sieh dich doch mal an: Du siehst aus wie ein Fotomodell, und du bist der liebste und freundlichste Mensch, den ich kenne. Jeder Mann wäre ...«
»Ach komm schon, Anne!« Ich war natürlich schwer geschmeichelt, aber leider übertrieb Anne. Ein wenig, jedenfalls. »Wenn ich aussähe wie ein Fotomodell, hätte mein Mann mich dann wegen eines Fotomodells verlassen?«
Anne zuckte mit den Schultern. »Manche Männer können nur mit Fotomodellen - dieser Flavio Briatore zum Beispiel oder ...«
»Hör schon auf! Lorenz hat mich verlassen, weil er sich für mich geschämt hat. Ich war ihm zu ungebildet, zu ungeschickt, zu naiv - einfach zu sehr Bauerntochter von einer Nordseeinsel. Mit Paris ist das anders: Sie ist weltgewandt, kennt tausend berühmte Leute, kann mehrere Sprachen, trägt Manolos, ist auf Cocktail-Partys und Vernissagen der Knaller - und sie kann sogar Nellys Matheaufgaben.«
»Okay«, sagte Anne. »Aber das beweist nur, was ich sagte: dass Lorenz dich nicht wegen des Aussehens verlassen hat, oder?«
»Und das soll mich jetzt trösten?« Ich musste lachen.
»Ja, doch«, sagte Anne. »Hansjürgen zum Beispiel sagt immer, dass er meinen Charakter liebt, aber meinen Körper nicht mehr anziehend findet. Ich sage dir, das kratzt auf die Dauer ziemlich an deinem Selbstbewusstsein, wenn man das immer gesagt bekommt. Und seine Sekretärinnen sind alle dünn und jung.«
»Und blöd«, ergänzte ich. »Sonst würden sie nicht mit einem verheirateten Mann schlafen, oder?« Obwohl Anne mit ihrer kleinen, rundlichen Gestalt, den blauen Kulleraugen und den Grübchen in den Wangen so niedlich aussah wie eine weibliche Ausgabe von Frodo Beutlin, dem Hobbit aus »Herr der Ringe«, war sie eine äußerst energische und durchsetzungsstarke Persönlichkeit. Warum sie dieses betrügerische Schwein von einem Ehemann nicht längst aus dem Haus geworfen hatte, würde ich wohl nie begreifen. »Warum zur Hölle verlässt du diesen Typ nicht endlich?«
»Tja«, sagte Anne. »Das hat viele Gründe. Der Hauptgrund steht, wie schon gesagt, schwarz auf weiß im Ehevertrag. Kann ich dir gern mal vorlesen. - Aber zurück zum Thema: Du bist aufjeden Fall gut genug für Anton. Ob er gut genug ist für dich, wird sich noch herausstellen müssen. Und seine blöde Mutter hat da gar nichts mitzureden.«
»Ich weiß, es sollte mir egal sein, was Antons Mutter über mich denkt. Sie wird mich sowieso nie mögen.« Ich schaute aus dem Fenster. Draußen regnete es immer noch in Strömen. Es war ungewöhnlich kalt für Juni. Ein Gewitter mit Platzregen hatte den Sommer weggespült, in der Nacht, in der Nina-Louise gestorben war. »Ich sie wahrscheinlich auch nicht.«
»Das würde wohl auch übermenschliche Kräfte voraussetzen«, sagte Anne. Sie kannte Antons Mutter nur vom Sehen, aber aus reiner Solidarität hegte sie eine noch größere Abneigung gegen sie als ich.
»Ich habe Angst, dass Anton und ich es nie schaffen, ein richtiges Paar zu werden. Seit der Nacht der Nächte haben wir uns noch nicht wieder gesehen, und die haben wir heulend auf dem Flur der gynäkologischen Abteilung verbracht. Ohne Unterwäsche, super. Wer weiß, was ich mir da geholt habe!«
»Na ja«, sagte Anne und grinste schwach. »Mit ein bisschen Fantasie - also, andere hätten was aus der Situation gemacht.«
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Die Beleuchtung dort war irgendwie alles andere als stimmungsvoll.« Es tat immer noch weh, an diese Nacht zu denken, und ich wechselte schnell wieder das Thema: »Sag mal, warum macht Max eigentlich neuerdings so viel mit Laura-Kristin? Ich dachte, er und Nelly ...« Ich hatte Annes Sohn Max so richtig in mein Herz geschlossen. Wenn ich mir einen Freund für Nelly aussuchen hätte dürfen, dann wäre es in jedem Fall Max gewesen. Er war so vernünftig, feinsinnig und kreativ und außerdem der hübscheste Junge, der mir jemals über den Weg gelaufen war.
Anne zuckte mit den Schultern. »Dachte ich ja auch. Aber in dem Alter scheint das noch komplizierter zu sein als bei uns. Dummerweise redet der Junge mit mir nicht darüber.«
»Noch komplizierter geht aber nicht«, sagte ich. »Ich weiß janoch nicht mal, ob Anton und ich ein Paar sind oder einfach nur zwei Singles, die ab und zu mal unverbindlich miteinander ausgehen.«
»Immerhin wärt ihr diesmal miteinander ins Bett gegangen«, sagte Anne. »Wenn nicht ... - was dazwischengekommen
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