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Die Patin

Titel: Die Patin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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sie! Warum ist ihr das passiert? Warum? Warum passiert es nicht den Leuten, die das Kind sowieso nicht wollen?«
    »Denen passiert es auch«, sagte Anne. »Statistisch gesehen hat jede zweite Frau in ihrem Leben eine oder mehrere Fehlgeburten.«
    »Und wie viele davon bringen sich um?«
    »Hör schon auf«, sagte Anne. »Mimi wird das überleben.«
    »Ich finde das so ungerecht«, sagte ich. »Sie hat sich so auf das Baby gefreut. Sie wäre so eine liebevolle, großartige Mutter. Sie hat nichts falsch gemacht. Es ist nicht zum Aushalten, dass wirihr nicht helfen können. Ich meine, wir sind die Mütter-Mafia! Eine für alle, alle für eine. Wir sollten irgendwas tun!«
    »Wir können nichts tun. Gib ihr einfach noch ein bisschen Zeit«, sagte Anne.
     
    *
     
    Mimi öffnete mir in den gleichen Klamotten wie die Tage davor, steingrauen Jogahosen und einem dazu passenden Kapuzenshirt mit Saftflecken. Auch ihre Haare schien sie seit der Fehlgeburt weder gewaschen noch gekämmt zu haben. Sie kringelten sich in verfilzten Locken um ihr schmales, ungeschminktes Gesicht. Die Augen sahen mit ihren dunklen Schatten riesig aus.
    Es war seltsam, aber ich fand sie schöner als jemals vorher. Ich konnte nichts dagegen machen, mir stiegen bei ihrem Anblick sofort die Tränen in die Augen.
    »Ach, du schon wieder«, sagte sie unwirsch und drehte sich um. »Mach die Tür zu, ja?«
    Ich gehorchte und folgte ihr dann ins Wohnzimmer. Auch hier herrschte ein eher ungewohntes Bild: Die Vorhänge waren vorgezogen, Kissen und Katzenspielzeug lagen auf dem Fußboden herum, Teile der Tageszeitung waren im ganzen Raum verteilt, und es roch nach Katzenfutter. Auf dem Couchtisch stapelten sich Zeitschriften, Bücher, aufgerissene Briefumschläge und allerlei Papierkram, es standen halb leer gegessene Joghurtbecher mit Löffeln drin und benutzte Gläser herum, das Sofa und der Teppich waren voller Krümel. Mimi ließ sich mit einer geschickt abgezirkelten Bewegung genau zwischen drei Katzen fallen, die auf dem Sofa lagen und schliefen. Lieschen Müller, Mimis rot geströmte Maine Coon-Katze, hatte im Frühjahr Babys bekommen. Zwei davon wohnten jetzt bei uns, eine hatte Anne bekommen und die anderen beiden hatten Mimi und Ronnie behalten.
    »Es ist gerade sehr spannend, entschuldige«, sagte Mimi,nahm die Fernbedienung in die Hand und stellte den Fernseher wieder laut.
    »Herzlich willkommen, Melanie«, sagte ein gut gelaunter Talkmaster zu einer kräftigen Brünetten mit roten Ponysträhnchen. »Melanie, hallihallo!«
    »Hallo, Olli!«, sagte Melanie. Soviel man erkennen konnte, fehlte ihr ein Eckzahn.
    Ich setzte mich auf einen Fußschemel, der nicht von Katzen belagert war, und sprang sofort wieder auf, weil sich etwas Spitzes in meinen Hintern gebohrt hatte. »Au! Was ist das denn?«
    »Pssst!«, schnauzte Mimi. »Das ist der Bergkristall, den deine verrückte Freundin Trudi mir gestern vorbeigebracht hat. Ich soll ihn mir auf mein Sonnenchakra legen. Ich hab gesagt, sie soll ihn sich von mir aus in den Hintern schieben, aber das hat sie leider nicht getan.«
    »Uuuh«, sagte ich. Stattdessen hatte der Stein sich in meinen Hintern geschoben, jedenfalls beinahe. Unheimlich, diese Bergkristalle. Trudi schwor auf die heilende Kraft von Edelsteinen, aber es war vielleicht etwas vermessen, in Mimis Fall mit einer sofortigen Heilung zu rechnen.
    Mimi starrte wie gebannt auf den Fernseher.
    »Melanie, du bist einundzwanzig Jahre alt und erwartest gerade dein zweites Kind, richtig?«, sagte der Talkmaster.
    »Richtig«, sagte Melanie.
    »Und du bist Raucherin, stimmt's? Hast du denn gar kein schlechtes Gewissen zu rauchen, obwohl du weißt, dass das dem Ungeborenen schadet?«
    »Nee«, sagte Melanie. »Bei meinem ersten hab ich ja auch geraucht, und der ist kerngesund und alles, und meine Frauenärztin hat auch gesagt, dass wenn man ganz aufhört mit dem Rauchen, dass es dann auch nicht gut für das Kind ist und deshalb, also!«
    »Also, ich finde das voll asozial von dir«, sagte Melanies Sitznachbarin, unter deren Bild »Saskia, 22« eingeblendet wurde. Saskia sah aus, als wäre sie erst gestern zum Thema »Ich habe achtzigKilo Übergewicht, aber das stört mich überhaupt nicht« in der Show gewesen. Sie war während ihrer drei Schwangerschaften zur Nichtraucherin geworden und fand, dass Melanie es überhaupt nicht verdient hatte, Kinder zu bekommen. »Kinder bedeuten ebend Verantwortung!«, sagte Saskia unter großem Beifall des Publikums, die

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