Die Patin
alle das Wort »ebend« zu kennen schienen. »Wenn du die Verantwortung nicht übernehmen kannst, dann musst du ebend besser verhüten.«
Melanie fand, dass Saskia das erstens alles gar nichts anginge und dass sie zweitens doof war. »Ich hab das Rauchen ja total eingeschränkt«, sagte sie. »Aber ganz aufhören ist halt auch schlecht für das Kind, kapierst du das nicht oder was?«
»Wie viel rauchst du denn am Tag?«, wollte der Moderator wissen.
»So zehn Zigaretten, eigentlich«, sagte Melanie. »Höchstens eine Packung.«
»Ebend«, rief Saskia. »Mörderin!«
Ich sah hinüber zu Mimi. »Äh, warum müssen wir uns das ... ?«
»Schschscht«, machte Mimi. »Wenn du das nicht sehen willst, geh nach Hause, ansonsten sei still.«
Eingeschüchtert sah ich wieder auf den Fernseher. Melanie hatte Verstärkung bekommen durch Yvonne. Die war im achten Monat und rauchte am liebsten in der Disco. Auch ihre Frauenärztin hatte da gar nichts gegen, ey, da konnte Saskia zetern wie sie wollte.
Auch Caro rauchte gerne. Das ließ sie sich von einem Baby im Bauch nicht vermiesen. Und gegen ab und zu mal ein Bier war auch nichts einzuwenden, da konnten Olli und Saskia gerne ihre Frauenärztin fragen.
Bis zur Werbepause kam ich zu dem Schluss, dass alle rauchenden Schwangeren der Nation eins gemeinsam hatten: farbige Strähnchen in einem borstig geschnittenen Pony.
»Bis Caro kam, dachte ich wenigstens, dass Rauchen während der Schwangerschaft schlank hält«, sagte ich zu Mimi. »Aberwahrscheinlich nur in Kombination mit Disco.« Ich kicherte ein bisschen.
Mimi beachtete mich gar nicht. Sie zappte zu einem anderen Sender. Wieder eine Talk-Show. Ich stöhnte.
»Willkommen zurück, heute zum Thema: Schämst du dich nicht, in deinem Alter noch Mutter zu werden!«, sagte die Moderatorin. »Ela, du bist vierunddreißig und erwartest dein erstes Kind. Warum hast du so lange damit gewartet?«
Ela erklärte, dass ihr vorher ihre Karriere als Bürokauffrau wichtiger gewesen war. Außerdem habe sie erst vor einem Jahr den Mann fürs Leben kennen gelernt.
»Boah ey voll krass«, sagte ihre Sitznachbarin, die Tina hieß, vierundzwanzig Jahre alt war, Hausfrau, und vier Kinder zwischen vier und acht Jahren hatte. Aufgrund ihrer gelbschwarz getigerten Ponyfransen wusste ich gleich, dass sie während der Schwangerschaften geraucht hatte. »Weißt du eigentlich, was du deinem Kind damit antust?«
»Dafür kann ich ihm aber was bieten«, sagte Ela trotzig. »Wir leben nicht von Sozialhilfe! Und wir haben eine intakte Partnerschaft.«
»Man kann den Kindern auch mit Sozialhilfe fast alles bieten«, sagte Tina. »Und mit meinem jetzigen Freund habe ich auch eine intakte Partnerschaft. Dafür kann ich meinen Kindern aber auch noch hinterherrennen und mit denen rumtoben und alles, wo du zu alt für bist!«
Ela schlug zerknirscht ihre alterschwachen Beine übereinander. Aber dann schien sie sich zu besinnen und sagte: »Ja, aber du kannst ihnen dafür keine Markenklamotten kaufen. Und keine MP3Player und was die sonst noch brauchen.«
»Kann ich wohl«, behauptete Tina. »Meine Kinder haben nur Markensachen und auch MP3Player und Handy. So. Und wenn ich in ein paar Jahren mit meiner Tochter in die Disco gehen will, dann guckt mich da keiner komisch an.«
»Ich kann auch mit meinem Kind in die Disco gehen, wenn ich will«, sagte Ela, aber sie sah nicht sehr überzeugt aus.
Tina stieß ein heiseres Lachen aus. »Boah ey, so als alte Oma, ey, dein Kind tut mir jetzt schon Leid.«
Beifall im Publikum. Sie waren offensichtlich alle der Meinung, dass es nichts Wichtigeres und Spaßigeres gab, als mit seiner Mutter in die Disco zu gehen. Ich persönlich wäre ja als junges Mädchen lieber gestorben, als meine Mutter mit in eine Disco zu nehmen, aber die Zeiten schienen sich geändert zu haben.
Der nächste Gast hieß Kirsten und hatte nach eigener Aussage »so'n Hals«.
»Ich habe zuerst meine Ausbildung als Einzelhandelsverkäuferin fertig gemacht, bevor ich Kinder gekriegt habe«, sagte sie aggressiv.
»Boah toll«, sagte ich. »Und aus dem Pony zu schließen, hast du auch nicht geraucht während der Schwangerschaft. Ich würde dich sofort für das Mütter-Verdienst-Kreuz vorschlagen.«
»Sei still«, sagte Mimi. »Ich finde das interessant.«
»Das ist krank«, sagte ich. »Guck dir doch ein Video an, wenn du unbedingt auf dem Sofa rumhängen musst. Diese Talk-Shows sind was für arbeitslose Analphabeten mit Zahnlücken. Früher
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