Die Patin
Gestalten mit gelben Haaren waren im Begriff vom Turm zu fallen, wobei der kleineren Gestalt im Fall etwas Braunes aus dem Mund tropfte.
Man musste kein Kinderpsychologe sein, um zu erkennen, dass Emily weder mich noch meine Kinder in ihr Herz geschlossen hatte. Aber es wäre auch zu seltsam gewesen, wenn sich eines meiner Probleme mal von selbst gelöst hätte.
Im Augenblick häuften sie sich auf eine bedenkliche Art undWeise. Nach Mimis Einzug bei mir hatte ich wieder mal das dringende Bedürfnis nach einer Liste verspürt und alle meine aktuellen Probleme hintereinander aufgeschrieben. Es waren zweiundvierzig. Jetzt konnte ich das Abendessen bei Antons Eltern noch hinzusetzen, gleich nach »Aufpassen, dass Mimi und Paris einander nicht über den Weg laufen, damit Mimi nicht erfahren muss, dass Paris schwanger ist, und sie wieder anfangt mit Gegenständen zu werfen«.
Den Kindern gegenüber wollte ich mir nichts anmerken lassen, aber je näher der Tag ihrer Abreise rückte, desto schlechter fühlte ich mich. Was war das für eine verkehrte Welt, in der Kinder plötzlich mehr als eine Mutter und einen Vater hatten und so viele Stief- und Halbgeschwister, dass man auch als Erwachsener den Uberblick verlieren konnte? Ich wollte diesen Sommer bei meinen Kindern sein. Ich wollte dabei sein, wenn sie schwimmen und surfen lernten oder zum ersten Mal in ihrem Leben einen Delfin sahen. Das alles wollte ich nicht der neuen Frau meines Exmanns überlassen. Aber die Bedingungen hatten sich nun mal geändert, und ich konnte die Zeit nicht zurückdrehen. Seit der Trennung von Lorenz war so viel geschehen, und das meiste davon wollte ich auch gar nicht mehr hergeben. Oder zurückhaben. Lorenz zum Beispiel.
»Dein Problem ist, dass du immer alle lieb hast und allen gerecht werden willst«, hatte Mimi gesagt. »Ich bin sicher, es ginge dir bedeutend besser, wenn du dir ein wenig Abneigung gegenüber Paris gestatten würdest.«
»Aber wie sollte ich das?«, hatte ich ausgerufen. »Sie ist perfekt. Liebenswert, großzügig, zauberhaft zu den Kindern ...«
»Sie hat dir immerhin den Mann ausgespannt«, hatte Mimi gesagt. »Manchen Frauen reicht das völlig aus, um jemanden nicht leiden zu können.«
»Ja. Aber was soll ich denn machen? Sie ist wirklich süß«, hatte ich geseufzt. »Und dann erst diese Familie. Alle arbeiten sie als Models, Schriftsteller, Schauspieler, Balletttänzer oder Minister-Präsidenten,haben Häuser in der ganzen Welt, sprechen vierzig Sprachen, gewinnen Olympiamedaillen - und kochen können sie auch noch!«
»Wenn das kein Grund ist, die ganze Sippe nach Strich und Faden zu hassen, weiß ich es aber auch nicht«, hatte Mimi gesagt, und da hatte ich lachen müssen.
Jemand klingelte Sturm. Es war Ronnie.
»Was sind denn das für Bestien, die bei dir in der Einfahrt lauern?«, fragte er atemlos. Hannibal und Lecter zerrten so wild an ihren Leinen, dass ich um die Zaunpfähle fürchtete, an denen sie angebunden waren. Man konnte nur hoffen, dass das Holz nicht morsch war. »Die wollten mich umbringen.«
»Ja, die hat Mimi engagiert, damit du nicht mehr jeden Tag vor der Tür stehst und bettelst«, sagte ich.
Ronnie runzelte die Stirn. »Ich bettele nicht. Ich kämpfe lediglich um meine Ehe.«
»Indem du Mimi hundertmal am Tag fragst, wann sie wieder zur Vernunft kommt?«
»Was soll ich denn sonst tun? Du musst selber zugeben, dass sie im Augenblick nicht sie selber ist«, sagte Ronnie.
»Ja«, sagte ich. »Sie hat sich sehr verändert. Aber vielleicht ist es dumm von uns allen, darauf zu warten, dass sie wieder wie früher wird.«
Ronnie hatte Tränen in den Augen, wie oft, wenn wir über Mimi redeten. Deshalb fiel es mir besonders schwer, weiterzusprechen.
»Weißt du, manche Ereignisse sind so schwer wiegend, dass man danach einfach nicht mehr derselbe Mensch ist«, sagte ich. »Die Frage, die sich stellt, ist nicht, wie wird alles wieder, wie es war, sondern, wie kommt man mit der neuen Situation zurecht?«
Ronnie biss sich auf die Lippen. »Wir haben das Kind verloren, das ist schlimm, aber das passiert tausenden von anderen Paaren auch. Mimi tut so, als wäre unsere Beziehung gescheitert,weil wir keine Kinder haben können. Als ob die vielen Jahre, in denen wir zusammen sind, überhaupt nicht zählten.«
»Ich weiß auch nicht genau, was in ihrem Kopf vorgeht«, gab ich zu. »Es ist so eine Mischung aus Schuldgefühlen und Aggressionen. Trudi sagt, sie wolle sich selbst dafür bestrafen,
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