Die Patin
ich meine, wer auf Hunde schießt, schießt vielleicht auch auf Kinder.«
»Oh«, sagte ich mitleidig. »Das klingt wirklich nicht gut.«
»Was sind denn das für Leute, die im Garten mit einem Gewehr hantieren?«, fragte Mimi. »Ich wette, wenn Anne das hört, wird sie sofort sagen, das sei ein Fall für die Mütter-Mafia.«
»Ich weiß nicht«, sagte Kevin. »Anne ist ja auch nicht besonders gut auf die Hunde zu sprechen. Was ist denn die Mütter-Mafia?«
»Nur eine streng geheime Organisation, von der niemand jemals was erfahren darf«, sagte Nelly und grinste blöd. »Meine Mutter ist der Boss, und das ist ihr Hauptquartier. Aber das ist alles streng geheim.«
»Ach, so ähnlich wie die Typen mit den schwarzen Sonnenbrillen, für die mein Vater Autos repariert«, sagte Kevin. »Meine Mutter will nicht, dass mein Vater mit denen Geschäfte macht, aber wenn wir von ihrem Altenpflegergehalt leben müssten, könnten wir gleich Sozialhilfe beantragen, sagt mein Vater. Und dann hätten die Nachbarn am Ende sogar Recht, wenn sie uns als Schmarotzer und Staatskassengeschwür bezeichnen.«
»Eure Nachbarn sind ja noch fieser als unsere«, sagte ich.
»Mir tut vor allem der Opa Leid«, sagte Nelly. »Es war die ganz große Liebe, sagte Kevin, mit achtzig Jahren die große Liebe! Er hat sich Blumen ins Knopfloch gesteckt und auf der Straße Tango getanzt. Und jetzt haben sie seine Angebetete einfach abgeschoben. Ist das nicht tragisch?«
»Doch«, sagte ich.
»Die große Liebe gibt es nicht«, sagte Mimi. »Du solltest dich was schämen«, sagte ich zu ihr. »Wenn einer die große Liebe kennt, dann du.«
*
Da der Samstag immer näher rückte, beschloss ich, zum Friseur zu gehen. Nichts Experimentelles, nur ein bisschen kürzer und schicker, damit ich den inspizierenden Blicken von Antons Mutter standhalten konnte. Und wo ich schon mal da war, ließ ich mir auch gleich wieder die Wimpern färben. Die waren von Natur aus zwar lang und dicht, aber so hellblond wie die von einem Schweinchen. Aber das war eins meiner bestgehüteten Geheimnisse. Ich war nur anderthalb Stunden weg, und Nelly sollte so lange auf Julius aufpassen.
Aber als ich vom Friseur zurückkam, waren die Kinder verschwunden. Auf dem Esstisch lag nur ein Zettel: Sind bei Kevin. Spätestens um sieben wieder zurück. N+J.
Ich bekam unmittelbar Herzrasen. Bei Kevin? Bei Hannibal Lecter zu Hause? Dort, wo auch die Vogelspinne lebte? Ja, war Nelly denn von allen guten Geistern verlassen? Wie konnte sie auch noch Julius mit dort hinschleppen?
Ich suchte fieberhaft am Kühlschrank nach der Liste mit den Adressen und Telefonnummern von Nellys Klasse. Unter einem Rezept für Zitronenkuchen wurde ich fündig. Kevin Klose, Libellenweg 14. Das war nicht weit. Ich fischte das Pfefferspray aus dem Schirmständer, rannte in die Garage und schwang mich auf das Fahrrad. Nur die Ruhe bewahren, vielleicht war es ja noch nicht zu spät. Vielleicht wilderten Hannibal und Lecter ja mal wieder in der Grünanlage und hatten keine Zeit, meine Kinder zu zerfleischen. Und was die Vogelspinne anging: In der Klinik hatten sie sicher ein Gegengift parat. Also, keine Panik.
Ich heizte wie Jan Ullrich durch die Insektensiedlung.
»KFZ Klose«, stand an der Hofeinfahrt zu Nummer 14 im Libellenweg. Direkt gegenüber war eine Zahnarztpraxis. Durch die gekippten Fenster hörte man das Geräusch eines Bohrers.
Die Hoftür war nur angelehnt. Das Pfefferspray geladen und gezückt, wagte ich mich hindurch. Der Hof lag wie ausgestorben in der Nachmittagssonne. Ein paar dicke Limousinen parkten hier, außerdem einige alte Autos ohne Reifen. Auf einer Motorhaube lag eine Katze und schlief. Von Hannibal und Lecter weit und breit keine Spur.
Ich überquerte den Hof kletterte eine Treppe hoch und klingelte an einer Tür, die mit Schildern in unterschiedlichster Machart gespickt war wie eine Pinnwand.
Hier wohnen Mama und Papa mit Jessica, Kevin, Melody, Justin, Julian, Samantha und Opa. (Salzteig)
Wer Spihlzeuch kaufen oder verschenken will, bitte dreimal klingeln und nach Justin oder Melody fragen. (Feste Pappe und Buntstift)
Osterhasen willkommen (Kreuzstich auf Jute)
Post bitte in Werkstatt abgeben. (Eingeschweißte Computerschrift)
Vorsicht vor dem bisschen Hund (Haha! Wirklich sehr komisch.) Opa Klose ist der Beste. (Brandschrift auf Frühstücksbrett) Schuhe abtreten nicht vergessen! (Geprägtes Metallschild)Leider machte auch nach dem zweiten Klingeln niemand au£ Ich
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