Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
der Zitadelle hindurch.«
Maerad erwiderte nichts. Es ging alles viel zu schnell für sie. Erst der Rat, dann die schreckliche Szene mit Cadvan, und nun hatte sie Hem verloren … Sie fühlte sich müde, dabei war die Nacht noch kaum richtig angebrochen. In bedrückter Stimmung kehrten sie in Nelacs Wohnzimmer zurück, das mit einem Mal sehr leer wirkte. »Und jetzt zum Wichtigsten«, sagte Nelac. »Maerad muss als Bardin eingeführt werden, bevor ihr aufbrecht. Dafür gibt es nur eine Möglichkeit: den Weg der Weißen Flamme. Mit dem, was ich inzwischen weiß, würde ich niemandem mehr vertrauen.« »Den Weg der Weißen Flamme?« Maerad fühlte sich verunsichert.
»Das ist eine Möglichkeit, an die selbst ich nicht gedacht habe«, sinnierte Cadvan. »So wurde die Einführung einst in Afinnil vollzogen. Heute wissen nicht mehr viele, wie dieses Ritual vonstatten geht. Zum Glück ist Nelac einer der Wenigen, die es nicht vergessen haben.« Unverhofft lächelte er Maerad an. Es war eines jener seltenen, strahlenden Lächeln, die so plötzlich eintraten, als sei ein Schatten von seiner Seele abgefallen, in der sich große Freude regte. »Und du wirst endlich deiner Gabe gewahr werden, Maerad.«
Unsicher musterte Maerad die beiden Barden. Die Furcht kehrte zurück wie ein schwarzer Wind, der in ihr aufkam. Sie fürchtete die Macht in sich, von der sie spürte, dass sie wuchs. Und sie spürte, wie sich in ihr eine Veränderung vollzog, als würde eine schwere Tür unwiderruflich hinter ihr geschlossen, sodass es keinen Weg zurück gab.
Weniger als eine halbe Stunde später wurde Maerad von Pellinor in Nelacs persönlichem Garten vor neugierigen Augen verborgen zu einer Bardin der Weißen Flamme.
Am Himmel, über den der abnehmende Mond wanderte, funkelte ein Sternenmeer, auf dem silbrigen Gras ruhten die Schatten der Bäume und Blumen. Maerad schaute empor und ließ den Sternenschein auf ihr Gesicht schimmern. Sie verspürte keine Furcht mehr.
In ihrer Reisekluft stand sie allein unter einem blühenden Ana-rech-Baum. An der Brust trug sie die Brosche der Lilie Pellinors, in der Hand hielt sie eine Ebereschengerte. Cadvan stand etwa dreieinhalb Meter entfernt reglos wie ein Baum. Nelac kam aus dem Haus. Seine Hände bildeten eine Schale, darin trug er eine weiße Flamme. Maerad beobachtete ihn voll Verwunderung, als er sich näherte; die Flamme schien von seinen Handflächen emporzuzüngeln und seine Züge von unten zu erhellen; sie warf seine Augenhöhlen in tiefe Schatten. Als er sie erreichte, neigte er das Haupt.
»Maerad, Elevin von Pellinor, ich heiße dich willkommen«, sagte er in der Hohen Sprache.
Maerad senkte schweigend ebenfalls den Kopf.
»Willst du die Weiße Flamme in vollem Bewusstsein um dein Gelübde gegenüber dem Licht entgegennehmen?«, fragte Nelac.
»Ich nehme die Flamme entgegen, in vollem Bewusstsein um mein Gelübde gegenüber dem Licht«, antwortete Maerad und streckte den Stab aus Eschenholz waagerecht vor sich.
Nelac hielt die Flamme an die Rute, die sich entzündete. Maerad widerstand dem Drang, das Holz fallen zu lassen und hielt es stattdessen, während die Flamme sich über den Stiel über ihre Hände hinweg ausbreitete und sie mit einer weißen Flamme umhüllte. Es schmerzte nicht. Vielmehr rann ein seltsames, wildes Kribbeln ihre Arme entlang durch ihren Leib, während ihr gesamter Körper von dem Feuer umfangen wurde. Statt Hitze verspürte sie eine Kälte, doch es war, als züngelte und flackerte die Kälte wie eine Flamme. Sie fühlte sich lebendiger denn je zuvor, als wäre ihr Blut plötzlich aus einem langen Schlaf erwacht. Verwundert blickte sie in Nelacs Augen. Dann hörte sie, allerdings nicht mit den Ohren, eine Stimme, die keine menschliche Stimme war, sondern wie die Stimme des Sternenlichts klang.
Elednor ihr wahrer Name. Feuerlilie.
Wie die Prophezeiung es vorhergesagt hatte.
Nach einer kurzen Weile flackerten die Flammen und erloschen, doch das Kribbeln setzte sich fort, und die düsteren Farben des Gartens, des sanften Sternenlichts wirkten beinahe gleißender, als Maerad es zu ertragen vermochte.
»Du bist durch die Weiße Flamme gelangt und wurdest nicht verbrannt«, stellte Nelac fest. »Willkommen, Maerad von Pellinor. Du bist im Herzen, im Verstand und im innersten Wesen eine Bardin der Weißen Flamme.« Dann sprach er in ihrem Verstand: »Samandala-me, Elednor Edil-Amarandh na, Eled Idhil na, Idhil Agalena na. Willkommen, Elednor von Edil-Amarandh,
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