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Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe

Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe

Titel: Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
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duckten.
    Die Feste war uralt, weit älter, als Gilman ahnte. In längst vergessenen Zeiten war sie von rauen Nordlandbewohnern errichtet worden, um Wölfe und Schlimmeres fernzuhalten. Unter Gilman dienten die Mauern in erster Linie dazu, die Einwohner von der Flucht abzuhalten. Die kleinen Felder innerhalb der Feste wurden von Sklaven bestellt, seine Tische, seine Kleider, sein Käse und sein Bier wurden allesamt von Sklaven hergestellt, und deshalb wollte Gilman nicht, dass sie ihm wegliefen. Seine zahlreichen Wachen dienten der Durchsetzung seiner Herrschaft und stärkten in nicht geringem Maße Gilmans Meinung von seiner eigenen Größe. Wie viele, die über weit größere Gebiete herrschten, war auch Gilman nicht über die Untugend der Eitelkeit erhaben.
    Falls jemandem tatsächlich die Flucht gelang, konnte er nirgend-wohin; das wahrscheinlichste Los bestand darin, einem der wilden Tiere in den Wäldern, die sich am Fuß der Berge erstreckten, zum Opfer zu fallen. Und selbst an diesen abgeschiedenen Ort drangen Gerüchte über Begebenheiten in der Außenwelt: Getuschel über namenlose Schatten, die durch die Tiefen der Wälder streiften, oder über vergessene Übel, die nun erwachten und bei Tageslicht auf Erden wandelten. So trostlos das Leben in Gilmans Feste sein mochte, jene vagen Schauergeschichten wirkten so gut wie jede Mauer und unterbanden jeglichen Versuch, den Ort zu verlassen.
    Maerad war noch zu jung, um die Hoffnung auf eine Flucht gänzlich aufzugeben. Doch je näher sie dem Erwachsenenalter kam und je klarer ihr die Grenzen ihrer Möglichkeiten wurden, umso mehr empfand sie derlei Gedanken als einen kindischen Traum. Freiheit war eine Wunschvorstellung, an der sie in den kargen Augenblicken ihrer Muße nachgerade besessen nagte wie an einem Knochen mit spärlichen Fleischresten; und wie bei jedem Trugbild fühlte sie sich danach hungriger als zuvor und spürte umso deutlicher, wie ihre Seele dahinsiechte und ihre Schwingen ob der Verzweiflung, sie jemals entfalten zu können, verkümmerten.
    Die Frühlingswende begann wie jeder andere Tag in Maerads Leben mit dem scheppernden Geläut der Morgenglocke, die sie unsanft aus dem Schlaf riss. Es beutelte sie an der Schwelle zum Bewusstsein, an der sie sich verwundbar, schwerfällig und blind fühlte, und ihre Träume versanken in den dunklen Winkeln ihres Geistes, als hätte es sie nie gegeben.
    Gähnend wankte sie aus der Sklavenunterkunft zum Brunnen auf dem Hof. Ihre Haut runzelte sich angesichts der frostigen Luft. Sie zog den Umhang um ihre Schultern enger, schenkte den düsteren Schemen der Gebäude rings um sie kaum Beachtung, pumpte etwas Wasser und spritzte es sich über den Kopf. Japsend schüttelte sie sich das Wasser aus dem dichten Haar. Ihr Atem kräuselte sich in weißen Schwaden aus ihren Nasenlöchern und durch ihre klappernden Zähne. Ihre Glieder fühlten sich noch bleiern an, ihr Gesicht taub wie ein Ziegel, aber wenigstens war sie wach. Sie trocknete sich gerade mit ihrem Umhang ab, als sie hinter sich schwere Schritte vernahm. Mit gesträubten Nackenhaaren wirbelte sie herum wie ein wilder Hund. Doch es war nur Lothar, der riesige Tölpel, der für die Vorratskammer zuständig war. »Kurze Nacht gehabt?«, fragte Lothar kichernd.
    Verächtlich drehte Maerad sich zurück zum Brunnen.
    »Man konnte die hohen Herren bis zum Hahnenschrei hören«, sagte er. »Und wer hat dich letzte Nacht gevögelt?«
    »Halt dein dreckiges Maul, Spatzenhirn«, fauchte sie kurz angebunden. »Sonst verfluch ich dich mit dem bösen Blick.« Mit finsterer Miene wandte sie sich ihm zu und hob die Arme. Lothar erblasste und verkreuzte die Hände vor den Augen. »Halt ein! Halt ein!«, rief er. »Ich hab’s nicht bös gemeint, Maerad.«
    »Dann hüte deine Zunge vor widerwärtigem Klatsch«, zischte sie. »Husch! Fort mit dir!«
    Lothar hastete davon, und Maerad gestattete sich ein verkniffenes Lächeln, bevor sie den kostbaren Augenblick genoss, den sie ganz für sich alleine hatte. Die Feste lag noch halb im Schlaf; der Hahn hatte erst unlängst gekräht, und ihr blieb noch eine kurze Weile bis zum Läuten der Dienstglocke. Die meisten Sklaven kuschelten sich noch begierig in ihre kleinen Nester der Schlafwärme und zögerten bis zum allerletzten Augenblick, sie zu verlassen.
    Maerad lehnte sich zurück, holte tief Luft und blickte zu den fernen Sternen empor, die sich als winzige Punkte frostigen Feuers hoch über den Bergen abzeichneten. Wie immer

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