Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
Weiße Eule verlangsamte die Fahrt und kam fast völlig zum Stillstand. Ohne den magischen Wind strich nur der Hauch einer Brise über die Wellen. Owan wendete das Boot, sodass sie der Kreatur entgegenblickten, die unausweichlich auf sie zusteuerte.
»Glaubst du, dass du darauf zusegeln könntest?«, fragte Cadvan unvermittelt. Owan legte den Kopf schief und überlegte kurz. »Aye, kein Problem, wenn du die Segel mit Wind füllst«, erwiderte er. »Hältst du das für eine gute Idee?«
»Ich nicht«, begehrte Maerad heftig auf. »Ich halte das für Wahnsinn.« »Es könnte uns gelingen, die Initiative an uns zu reißen«, erklärte Cadvan. Er sah Maerad an und lächelte mit einer unverhofften Herzlichkeit, die seine düsteren Züge aufhellte und regelrecht verwandelte. »Komm schon, Maerad. Angst weit von sich zu schieben ist besser, als sich von ihr treiben zu lassen. Das weißt du.«
Ja, das weiß ich, dachte Maerad verkniffen. Aber ich bin es leid, tapfer sein zu müssen, obwohl ich mich in Wahrheit so sehr fürchte, dass ich kaum weiß, was ich tun soll. Sie schluckte schwer, stand auf und zog das Schwert. Cadvan nickte, hob die Arme und sprach: »II sammachel Estare de… Ich rufe dich, Wind des Westens …« Die ganze Macht der Hohen Sprache zu hören jagte Maerad stets einen Schauder über den Rücken, als wäre sie in eine frostige Gebirgsquelle aus dem Anbeginn der Welt getaucht. Einen Lidschlag lang vergaß sie die Gefahr und spürte nur das unwiderstehliche Ziehen von Cadvans Befehl. Sie wandte sich ihm zu. Der leichte Schimmer eines silbrigen Lichts umgab ihn. Die Segel bauschten sich, und die Weiße Eule knarrte, als sie sich in den Wind lehnte. Owan steuerte das Boot das eigene Kielwasser entlang zurück auf das schwarze Ding zu, das mittlerweile ein eigenes, mächtiges Kielwasser hinterließ, während es auf sie zuhielt. Die Geschwindigkeit, mit der sie aufeinander zurasten, war schwindelerregend.
Cadvan drehte sich Maerad zu. Das Haar peitschte ihm ins Gesicht. »Ich glaube, diese Kreatur rechnet nicht damit, dass wir auf sie zukommen«, meinte er. Damit zog er sein Schwert namens Arnost, das mit einem fahlen Feuer schimmerte. »Vielleicht können wir sie überraschen. Greif auf deine Gabe zurück, Maerad.« Maerad hob Irigan an, ihr eigenes Schwert, von dessen Heft aus ein ähnliches Licht aufflammte.
»Owan, wir wirken einen Haltebann, damit du nicht von Bord geschleudert wirst, wenn das Ungetüm gegen die Eule prallt«, verkündete Cadvan. »Halt bis zum letzten Augenblick den Kurs, dann dreh nach Norden - so scharf du kannst. Den Rest erledigen Maerad und ich.«
Mit unlesbaren Zügen nickte Owan.
»Du übernimmst den Haltebann, Maerad«, fuhr Cadvan fort. »Sei auf der Hut. Ich bin noch nie zuvor einer dieser Kreaturen begegnet. Die Augen sind verwundbar - ziel darauf zuerst. Und angeblich gibt es unter der Schale des Kopfes, dort, wo der Schädel in den Hals übergeht, eine weiche Stelle. Halt danach Ausschau! Und möge das Licht uns beschützen!«
Maerad nickte heftig und umklammerte ihre Klinge. Für Furcht blieb keine Zeit: Das Ungeheuer befand sich so nah, dass sie sehen konnte, wie sein Kopf durch die Wellen pflügte, ein Furcht erregendes, keilförmiges Gebilde, größer als ihr Boot, grünlich-schwarz, überzogen mit gelbem und grünem Tang und Schmarotzern, mit zwei riesigen, fahlen, starrenden Augen und einem breiten, lippenlosen Mund. Das Ding stank nach brackigem, abgestandenem Wasser. Als ihr winziges Gefährt darauf zusteuerte, öffnete sich das Maul. Zum Vorschein kam ein Albtraum aus Fängen, Reihe um Reihe unebenmäßiger, gelblicher Zähne, ein Schlund gleich einer Höhle voll Messern.
Maerad dachte, sie würden in jenen dunklen Abgrund tauchen, zerfetzt und zerquetscht werden. Einen entscheidenden Lidschlag lang war sie zu verängstigt, um sich zu bewegen. Neben ihr ließ Cadvan das Schwert vorschnellen. Ein Blitz weißen Lichts wurde von der Klinge geschleudert und traf den furchteinflößenden Kopf. Maerad sah, wie sich ein Auge gleich einer gelöschten Lampe jäh mit schwarzem Blut verfinsterte, dann schwang im letzten Moment das Segel herum, und die Weiße Eule preschte an dem grässlichen Maul vorbei, dass krachend ins Leere schnappte und sie dabei mit Meereswasser bespritzte. Das Boot schaukelte wild, dennoch beugte Cadvan sich mit erhobenem Schwert vor, während Maerad entschlossen mit prüfendem Blick die Flanke des Ungeheuers absuchte. Dann erspähte sie eine
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