Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
die meisten schienen nicht älter als Hem zu sein. Indik bemerkte ihren Gesichtsausdruck. »Ich hätte nicht gedacht, dass in Inneil Kinder kämpfen müssen«, sagte sie zu ihm. »Alles Freiwillige«, erwiderte er knapp. »Wir brauchen jede Hilfe, die wir kriegen können. Die hier wissen, was ihnen blüht, wenn wir verlieren. Einige haben bereits miterlebt, wie ihr Heim zerstört und ihre Familie getötet wurde.«
Maerad schwieg. Wie nichts zuvor vermittelte ihr dies, welche Gewalt bereits Einzug in das friedfertige Tal von Inneil gehalten hatte. Sie spürte, wie eine tiefreichende Wut in ihr zu glimmen begann.
Auf den Zinnen konnte sie das volle Ausmaß der Sonderbarkeit des Wetterzaubers sehen, den zu weben sie geholfen hatte. Die Luft stand still, war sogar ein wenig stickig, doch der Lärm des Windes war äußerst laut. Winterliches Sonnenlicht fiel auf ihre Schultern, aber nur wenige Spannen entfernt dräute ein großer Schatten, in dem das Licht schwand und erstarb. Durch die Düsternis konnte sie eine wuselnde Masse von Gestalten auf dem Boden vor den Toren Inneils ausmachen. Viele hielten flackernde Fackeln, die im Regen zischten und knisterten. Dann vernahm sie das vibrierende Zurückschnellen von Bogensehnen und erkannte, dass die Bogenschützen auf Angreifer schössen, die tolldreist genug waren, sich in ihre Reichweite zu wagen.
Indik hatte recht: Durch die Dunkelheit gestaltete es sich äußerst schwierig zu erkennen, was die Armee tat oder wie weit zurück sie sich erstreckte. Jedenfalls schien es viele, viele Soldaten mehr zu geben, als sich hier an den Toren eingefunden hatten. Maerad fragte sich, ob die Streitkräfte rings um die Mauern so dicht standen, und sog den Atem ein. Sie vermochte nicht zu entscheiden, ob es schlimmer war, sich die Angreifer nur auszumalen oder sie mit eigenen Augen zu sehen. Insgesamt, befand sie schließlich, war es besser, das Schlimmste zu wissen. Allerdings hatte sie nun wirklich große Angst.
Vergiss nicht, sagte Indik in ihrem Geist, ich verlasse mich darauf, dass du den Landrost im Auge behältst. Und bleib außer Reichweite der Bogen … Ich will nicht, dass ein verirrter Pfeil dich trifft…
Maerad nickte, als könnte Indik - der sich außer Sicht befand -sie sehen, dann sammelte sie sich und wich von den Zinnen zurück. Ohne das Bewusstsein um ihre gegenwärtige Umgebung zu verlieren, tastete sie sich behutsam zurück in das Netz der Magie, das sie mit den Wetterwirkern gewoben hatte. Sie wusste, dass der Landrost sich irgendwo darin befand, und konnte seine Gegenwart deutlicher spüren, wenn sie ihren Geist die Ranken berühren ließ, als wäre er eine Spinne in der Mitte ihres Netzes und sie eine Fliege an den äußeren Rändern, die seine Anwesenheit durch feine Schwingungen fühlte.
Von ihrem Posten aus hatte Maerad einen besseren Überblick über die äußere Mauer. Hatte dort zunächst alles nach einem wirren Durcheinander ausgesehen, erkannte sie nun eine Ordnung darin. Sie besaß wenig Erfahrung mit Befestigungsanlagen, doch selbst für sie war offenkundig, dass Inneil im Vergleich zu Norloch kaum Verteidigungseinrichtungen besaß. Eine hohe Steinmauer, verstärkt mit darin eingewobenen Bannen, um Kreaturen der Finsternis abzuhalten, schien gegen die Streitkräfte, deren Gewimmel sie unten vage gesehen hatte, gerade so viel wert zu sein wie dünner Stoff.
Während sie darüber nachgrübelte, schienen die Wolken vor ihr zu explodieren; Maerad taumelte und stürzte beinah. Bevor sie wusste, was geschah, hatte sie unwillkürlich das Schwert gezogen und schüttelte den Kopf, um eine Benommenheit loszuwerden, als hätte etwas sie getroffen, obwohl nichts in ihre Nähe geraten war. Die Luft war erfüllt von schwarzen, nassen, ledrigen Schwingen. Werwesen, dachte ein nüchterner Teil ihrer selbst. Sie haben den Bann durchbrochen …
Die Werwesen kamen zur Landung, schabten mit ihren Klauen über den Stein, dass Funken aufstoben, und verwandelten sich fast sofort in menschenähnliche Formen, große grausame Gestalten mit kräftigen Schultern und schwarzen Breitschwertern. Wie aus großer Ferne hörte Maerad gebrüllte Befehle von Indik, dann das Kreischen der Kinder und schließlich das Klirren von Waffen. Ohne nachzudenken, hob sie die Arme und sprach das Wort für weißes Feuer, Noroch. Eine silbrige Kugel schoss aus ihren Fingerspitzen und traf einen der Angreifer, der gerade ausholte, um auf einen Barden einzuschlagen, an der Schulter. Die Flamme
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