Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
so einfach einnehmen können, wie er glaubt.«
Isam und die anderen Barden wurden an verschiedene Stellen der Mauern um Inneil entsandt, doch Malgorn bat Maerad und Cadvan, bei ihm zu bleiben. Von Indik war weit und breit nichts zu sehen, und Malgorn war mit einem steten Strom von Leuten beschäftigt, die das Wachhaus betraten und verließen. Maerad kümmerte sich vorerst nicht darum, was draußen auf den Straßen vor sich ging; ihr war zu kalt. Sie kauerte sich neben ein Kohlenbecken in einer Ecke und versuchte, trocken zu werden. Wie lange sie draußen im Regen gewesen war, wusste sie nicht, jedenfalls hatte es gereicht, um zum zweiten Mal an diesem Tag völlig durchnässt zu werden. Sie fragte sich, wie spät es sein mochte. Es kam ihr vor, als wäre ihr Aufbruch aus Inneil an diesem Morgen letzte Woche gewesen. Dampf stieg von ihrem Mantel auf, und ihr Kettenhemd wurde unangenehm heiß, dennoch kauerte sie sich weiterhin zusammen und spürte, wie ihr Körper allmählich auftaute. Sobald sie zu zittern aufhörte, erkannte sie, dass sie Hunger hatte.
»Ist schon Essenszeit?«, fragte sie Cadvan.
Ein junger Barde in der Nähe lachte. »Wir wandeln am Rande des Abgrunds, und Maerad von Pellinor verlangt ein Mittagsmahl!«, rief er aus. »Frau Maerad, Ihr müsst mehr an Gefahr gewöhnt sein als die meisten von uns.« Damit verneigte er sich übertrieben. Maerad ertappte sich dabei zu lächeln. »Ich muss gestehen, ich persönlich verspüre keinen Appetit.«
»Maerad ist in der Tat eine kampferprobte Kriegerin, Camphis«, erklärte Cadvan. »Und wie alle altgedienten Soldaten denkt sie vorwiegend an ein gemütliches Bett und eine gute Mahlzeit. Es ist erst kurz nach Mittag, Maerad. Ich bin sicher, irgendwo gibt es etwas zu essen. Immerhin sind wir hier in Inneil…« Camphis holte geräucherten Fisch, Käse, Brot und Obst aus einem Schrank und brachte alles zu einem Tisch. Daneben stellte er eine Flasche Wein. »Wird das reichen?«, fragte er. »Ich vermute, Ihr habt ein eigenes Messer.«
»Ich habe es verloren«, gestand Maerad ein wenig verlegen.
»Dann könnt Ihr Euch meines leihen.« Camphis reichte ihr ein Klappmesser mit Holzgriff. Maerad lächelte dankbar, setzte sich und machte sich über das Essen her. Sie war am Verhungern. Der morgendliche Ritt, die Hetze zurück nach Inneil und das Weben des Zaubers hatten ihr einen ordentlichen Appetit beschert. Cadvan schloss sich ihr an, und sogar Camphis nahm sich ein paar getrocknete Pflaumen, um ihnen Gesellschaft zu leisten. Maerad erkannte, dass er sich unter seiner Unbeschwertheit zutiefst fürchtete, und bewunderte, wie er dem trotzte. Anscheinend war er erst unlängst ein vollwertiger Barde geworden und zählte zu Silvias Schülern.
»Meine wahre Leidenschaft gilt der Kräuterkunde, nicht der Schwertkunst«, sagte er und betrachtete seine Rüstung voll Abscheu. »Obwohl ich natürlich weiß, wie man mit Waffen umgeht; Indik trichtert uns allen ein wenig Geschick damit ein. Ich würde für Inneil sterben. Ich hoffe nur, das muss nicht sein.« Er lächelte ein wenig schief, und Cadvan klopfte ihm auf die Schulter.
»Das hoffen wir alle«, meinte er. »Keine Angst, wir haben Maerad auf unserer Seite. Man weiß nie, was sie zu tun vermag. Sie könnte beispielsweise unsere Feinde in Kaninchen verwandeln.«
Camphis blickte erstaunt drein, dann lachte er wieder.
»Das hat sie tatsächlich einmal mit einem Untoten gemacht«, beteuerte Cadvan und hatte sichtlich Vergnügen, als Maerad neben ihm errötete. »Und einem Sturmhund sang sie mal ein Wiegenlied vor.«
»Das klingt nach sonderbaren Geschichten«, meinte Camphis. »Ich hoffe, Ihr habt eines Tages Zeit, sie mir vollständig zu erzählen.«
»Das Sonderbarste daran ist, dass sie wahr sind«, erwiderte Cadvan und zwinkerte Maerad zu. »Maerad ist zweifellos eine gefährliche Gesellschaft, aber man kann nicht behaupten, dass es je langweilig mit ihr ist.«
»Ist es denn auch wahr, dass Ihr die Gestalt einer weißen Wölfin annehmen könnt?«, fragte Camphis neugierig.
Maerad sah kurz Cadvan an, ehe sie nickte. Mittlerweile hatte es eindeutig keinen Sinn mehr, ihre Anwesenheit in Inneil geheim zu halten.
»Und auch andere Gestalten?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe es noch nie versucht.«
Ihre Unterhaltung wurde von wildem Geschrei unterbrochen. Es hörte sich unbehaglich nahe an; die Barden sprangen auf und zogen ihre Schwerter. Gleich darauf betrat Indik den Raum.
»Es hat begonnen«, verkündete
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