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Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied

Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied

Titel: Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
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Auge eines anderen offenbarte sich ihr flüchtig, wie er sie sah: als leuchtende Gestalt in der Dunkelheit, winzig und sehr hell, pulsierend mit einer unbekannten Macht. Nun war sie in seinem Blick gefangen, als bannte seine Wahrnehmung sie unter einem zerdrückenden Gewicht; sie konnte weder denken noch sich bewegen. Maerad spürte, wie sein Erstaunen hämischer Siegesfreude wich und wie sich ihr Geist krümmte. Der Landrost würde sie zerquetschen wie einen Käfer, und sie konnte nichts dagegen unternehmen. Panisch setzte sie sich in seinem Griff zur Wehr, doch er ließ nicht los. Aus weiter Ferne, an den Rändern ihres Geistes, hörte sie eine Stimme. Sie hatte solche Angst, dass sie nicht erkannte, wem sie gehörte; ihrem gesamten Wesen wurden Dunkelheit und Machtlosigkeit eingeflößt.
    Elednor Edü-Amarandh na, sprach die Stimme. Auch sie war kalt, kälter als der Landrost, und glitzerte mit einem eisigen Funkeln. Diese Kreatur ist nichts im Vergleich zu dir. Bist du wirklich so schwach? Ist der Kiesel tatsächlich weniger ab der Berg? Absonderlicherweise begann die Stimme zu lachen. Ihr Gelächter war wie Eis, das auf ihre Haut herabstürzte, sie aufschnitt, sie aus der Ohnmacht des Albtraums erweckte.
    Zum Nachdenken blieb keine Zeit. Der Druck war unerträglich, und der Landrost übertünchte bereits ihr gesamtes Wesen. Nur noch ein winziges Licht ihrer selbst schimmerte. Mit schwindendem Bewusstsein klammerte sie sich verzweifelt an die Vorstellung des Kiesels: Bei einem Erdrutsch würde ein Kiesel nicht zerstört werden. Sie hörte auf, sich gegen den Landrost zu wehren, und ließ sich stattdessen in die Dunkelheit sinken, tief, rund, klein und als sie selbst. Die Woge der Schwärze schleuderte sie über eine unermessliche Entfernung, durch Reiche leeren Raums, wo Sterne ihre unergründlichen Tänze vollführten, durch Wolken blendender Farben, weitläufiger, als sie es sich je auszumalen vermocht hätte. Die Zeit selbst wurde durch unvorstellbare Kräfte gestaucht und gestreckt. Sie war verloren, verloren doch sie folgte immer noch gleich einem winzigen Stern einer gekrümmten Flugbahn. Maerad wusste nicht mehr, wer oder wo sie war; alles ging durch sie hindurch, schneller und schneller. Dann, urplötzlich, schien die Zeit wieder einzusetzen, und jemand rief ihren Namen. Endlich gelangte sie zum Stillstand, schwindlig und atemlos. Sie besaß einen Körper aus Fleisch und Blut und hörte ihren Atem. Keuchend spürte sie, wie Luft in ihre Lunge strömte, eine harte Oberfläche gegen ihre Beine drückte und etwas Weiches sie umgab. Jemand streichelte ihr Gesicht und sprach ihren Namen.
    Sie schlug die Lider auf und sah unmittelbar in Cadvans Augen. Abermals wiederholte er mit fragendem Tonfall ihren Namen; benommen nickte sie. »Geht es dir gut?« Er war blass. Unter seinen Augen prangten tiefe Schatten, und die Narbe in seinem Gesicht zeichnete sich deutlich gegen die Haut ab.
    »Nein«, antwortete Maerad. Sie wartete, bis das Schwindelgefühl sich auflöste, dann schob sie Cadvan weg und übergab sich. Wortlos reichte er ihr ein Tuch, mit dem sie sich den Mund abwischte, dann gab er ihr Medhyl. Maerad trank einen ausgiebigen Schluck, setzte sich neben ihn und lehnte ihren Rücken gegen die Wand.
    »Er hat mich gesehen«, brachte sie schließlich hervor. »Der Landrost. Er hätte mich beinah vernichtet.«
    Mit ausdrucksloser Miene nickte Cadvan.
    Sie drehte sich herum, damit sie ihm ins Gesicht sehen konnte. »Warst du es, der mich ausgelacht hat?«
    Cadvan blickte verwirrt drein. »Nein, meine Liebe. An einem solchen Ort könnte ich dich niemals auslachen. Ich habe dich nach Hause gerufen. Du warst so weit, weit weg …«
    »Jemand hat mich ausgelacht. Er hat mir aber auch das Leben gerettet, just als ich dachte, ich würde zerquetscht. Nein, es war nicht deine Stimme …« Maerad legte die Stirn in Falten und trank einen weiteren Schluck Medhyl. Ihr Herz hämmerte nicht mehr ganz so schmerzhaft. »Ich frage mich, wer es war. Es war eine kalte Stimme, sehr kalt…«
    Jäh sog sie die Luft ein: Natürlich wusste sie, wer es gewesen war. Die Erkenntnis verlieh ihr das Gefühl, am Rand einer äußerst hohen Klippe zu stehen. Sie wollte sich erneut übergeben, doch zugleich fühlte sie sich, als wäre sie voller Licht, erfüllt von einem seltsamen, erregenden Schwung.
    »War es der Winterkönig?«, fragte Cadvan nach längerem Schweigen. Maerad nickte. »Ja«, bestätigte sie. »Ja, er war es.«

 
     
Der

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