Die Pelzhändlerin (1. Teil)
Kleiderwünschen lieber zu Maria gehen und sich von ihr Maß nehmen lassen?»
«Es ist Marias Aufgabe, das zu tun», widersprach Sibylla.
«Ja, und sie tut es gern. Doch auch die Hellerin, die Stalburgin und einige andere, die zu den besten Kunden zählen und die allein Ihr betreuen wollt, gehen nun zu Maria.»
«Maria ist Bestandteil des Geschäftes. Es ist ihre Pflicht, die Kunden aufs Beste zu bedienen.»
«Ja, da habt Ihr wohl Recht, Meisterin. Doch ihr freundliches, liebenswertes und fröhliches Wesen zieht die Leute an wie der Honig die Bienen.»
«Was ist daran schlecht?»
«Nichts», erwiderte Barbara zaghaft. «Es ist ein Glück, dass wir sie haben.»
«Na, also», beendete Sibylla abrupt das Gespräch und verließ die Küche.
Wie früher nahm sie ihren Umhang und ging hinunter zum Mainufer. Sie musste nachdenken, obwohl sie nicht wollte.
Susanne, Barbara, Heinrich, die Mägde am Brunnen – sie alle hatten Recht, dachte Sibylla. Ich habe mich verändert. Hart bin ich geworden, habe das Lachen verloren, die Fähigkeit zur Freude. Wann war es, dass ich das letzte Mal gesungen habe?
Sie brauchte nicht lange zu überlegen. In Florenz war es. Mehr als acht Jahre waren seither vergangen. Damals war sie geliebt worden, hatte geliebt, auch sich selbst. Und damit auch die anderen Menschen. Jetzt waren die Menschen ihr gleichgültig. Alle. Nur Eva und Christoph gelang es hin und wieder einmal, ihr ein flüchtiges Lächeln zu entlocken.
Sie hatte alles so satt. Alles, das ganze Leben, in dem ein Tag dem anderen glich, einer so grau wie der andere verlief. Es gab keine Höhepunkte in Sibyllas Leben. Sie hatte alles erreicht, was sie sich vorgenommen hatte. Doch glücklich war sie nicht geworden. Einzig der Schatten war ihr treu geblieben.
Ist das der Preis, den ich zahlen muss, weil ich Sibylla Wöhler den Tod gestohlen und mir ihr Leben angeeignet habe? Habe ich die einzige Gelegenheit, das Glück beim Schopfe zu fassen, verspielt?
In Gedanken versunken, schlenderte sie am Ufer entlang und sah in den grünen Fluss, als wüsste er die Antwort. Schließlich gelangte sie zu einem Stein, der groß genug war, um darauf sitzen zu können. Früher habe ich oft hier gesessen, erinnerte sich Sibylla. Früher, als ich verzweifelt war und glaubte, unglücklich zu sein. Hätte ich damals gewusst, dass die Zeit, die mir so schwer und dunkel erschien, im Grunde meine beste war, wie wäre mein Leben dann verlaufen? Es gab keine Antwort auf diese Frage. Sie war allein. Allein, verlassen, von niemandem geliebt, wie dieser graue, alte Stein, der wie sie verdammt schien, auf ewig an seinem Platz verharren zu müssen.
Ich habe keine Freude mehr, erkannte Sibylla. Keine Freude und bald auch keine Freunde mehr. Nichts von dem, was ich habe, kann mich glücklich machen. Glück kann man nicht kaufen. Und Liebe auch nicht. Unbezahlbare Güter sind es, die man nur geschenkt bekommen kann. Und die man festhalten muss. So fest, wie man nur kann. Oder man endet am Schluss wie dieser Stein.
Sibylla sah hoch und entdeckte in einiger Entfernung zwei Wäscherinnen, die sich abmühten, die großen Leinentücher auf die Steine zu schlagen. Plötzlich hielt eine der Wäscherinnen inne, strich sich eine nasse Haarsträhne aus der Stirn, sah zu der anderen und begann zu singen. Zuerst leise und getragen, dann lauter und inbrünstiger.
«Es ist ein Schnee gefallen, und es ist noch nit Zeit. Ich wollt zu meinem Buhlen gehen, der Weg ist mir verschneit.»
Hier fiel die andere ein, und zusammen sangen sie nun weiter: «Mein Haus hat keinen Giebel, es ist mir worden alt, zerbrochen sind die Riegel, mein Stübel ist mir kalt.
Oh, Lieb, lass dich erbarmen, dass ich so elend bin. Nimm mich in deine Arme, so geht der Winter hin.»
Ja, das Lied spricht die Wahrheit, dachte Sibylla und betrachtete die Wäscherinnen, die nun in ein fröhliches Gelächter ausbrachen und sich voller Übermut und Heiterkeit mit Wasser bespritzten.
Es ist Winter geworden in mir. Schnee ist in meine Seele gefallen und will und will nicht tauen. Noch bin ich im Sommer des Lebens, doch in meinem Inneren herrscht schon lange Winter.
Erneut schallte das Gelächter der Wäscherinnen zu ihr herüber. Sibylla saß da, betrachtete neidvoll das frohe Treiben. Plötzlich richtete sie sich erschrocken auf.
Ich beneide die Wäscherinnen, dachte Sibylla und begann zu zittern. Wie viele Jahre habe ich gebraucht, um diesem Leben zu entfliehen! Und jetzt, nachdem ich alles erreicht
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