Die Pelzhändlerin (1. Teil)
Kindbett.
Sibylla war sich der Gefährlichkeit ihres Unternehmens wohl bewusst. Doch was hatte sie zu verlieren? Gar nichts. Die Leute würden weiter zu ihr kommen, um zu kaufen. Gleichgültig, ob sie die Gewandschneiderei öffentlich in ihrem Haus betrieb oder unter einem Vorwand Meister Schulte dafür in Anspruch nahm. Sie hatte keine Furcht vor der Ratsversammlung. Vielleicht hatte sie diese unbewusst herbeigeführt, um endlich, nach so vielen Jahren, Isaak Kopper wiederzusehen?
Wie oft schon hatte sie es bereut, nicht mit ihm in Florenz geblieben zu sein?
Einmal war sie zu seinem Haus in der Schäfergasse gegangen, eine Decke aus kostbarem Marderfell für das Neugeborene unter dem Arm und einen mit Perlen bestickten Gürtel für Isabell. Doch nicht die üblichen Bräuche waren der Grund für Sibyllas Gang gewesen. Nein, die Sehnsucht nach Kopper hatte sie verzehrt. Es fiel ihr unendlich schwer, dieser Sehnsucht Herr zu werden. Einmal nur war sie hervorgebrochen, als die inzwischen siebenjährige Eva in aller Unschuld nach ihrem Vater fragte. Sie kannte Schieren nicht, der nun schon über acht Jahre auf Reisen war.
«Erzähl mir von meinem Vater», hatte die Kleine gebeten und Sibylla mit ihren großen flussgrünen Augen, die denen von Isaak glichen, angesehen.
Sibylla war zusammengefahren, bis ins Mark erschrocken gewesen. Schließlich hatte sie das kleine Mädchen auf ihren Schoß gehoben und erwidert: «Dein Vater ist vor langer Zeit fortgegangen, um sein Glück zu suchen. Er kommt wieder, wenn er es gefunden hat. Du musst nur warten können. Im Leben muss man immer warten können, und niemand weiß vorherzusagen, ob es nicht vergebens ist.»
Doch sie selbst hatte an diesem Tag nicht länger warten können. Die Sehnsucht war aus ihr herausgebrochen wie Mehl aus einem kaputten Sack. Sie hatte die Decke und den Gürtel zum Vorwand genommen und war in die Schäfergasse gelaufen.
Als sie die Schlange aus Messing, die noch immer als Türklopfer diente, gegen das Blatt schlug, öffnete sich die Tür so schnell, als hätte Ida dahinter gestanden. Stumm hatte die Alte Sibylla angesehen, ihr das Gesicht gestreichelt und das Kreuzzeichen auf ihre Stirn gemalt. Dann hatte sie nach ihrer Herrin geläutet.
«Schierin, wie schön, dass Ihr es doch einmal geschafft habt, uns Eure Aufwartung zu machen», war sie von Isabell begrüßt worden. «Mein Mann ist für wenige Tage weggefahren, um in den Bergen des Taunus nach neuen Kräutern zu suchen. Wir sind also ganz ungestört.»
Und Sibylla war sich so fehl am Platz vorgekommen, dass sie Isabell mit beinahe unhöflicher Hast die Geschenke in die Hand gedrückt hatte und aus der Schäfergasse geflohen war.
Einige Tage später brachte der Bote einen Brief. Mit klopfendem Herzen brach Sibylla das Siegel auf, erkannte sogleich Koppers Schrift.
Hochverehrte Meisterin,
ich bedanke mich für die Zuwendungen, die Ihr meiner Familie zuteil werden ließet, und möchte meinen Gefallen an diesen hervorragenden Arbeiten äußern, jedoch nicht ohne zu betonen, dass diese Geste Eurerseits überflüssig war.
Ich wünsche Euch allezeit gute Geschäfte und bedaure es, Euch nicht in mein Haus einladen zu können, da mich meinerseits die Geschäfte daran hindern, Zeit für eine Begegnung mit Euch zu finden.
Isaak Kopper
Sibylla erkannte die endgültige Zurückweisung, die in diesem Brief stand, doch sie weinte nicht, denn Tränen hatte sie schon lange keine mehr. Ich habe es verdient, hatte sie gedacht und war noch tiefer in ihrer Traurigkeit versunken.
Doch jetzt, wenn der Rat der Stadt über Sibyllas Gewandschneiderei entscheiden würde, würde sie Isaak sehen. Er konnte dem Rat nicht fernbleiben. Er musste kommen, wie auch sie gezwungen war, in dieser Angelegenheit zu erscheinen. Diesmal würde er ihr nicht ausweichen können.
Sie kleidete sich sorgfältig, wie schon lange nicht mehr, benutzte gar die Schönheitsmittelchen, die Lucia ihr immer wieder aus Florenz schickte.
Mit klopfendem Herzen betrat sie den Versammlungssaal im Römer und setzte sich auf den ihr zugewiesenen Platz am unteren Ende der großen Ratstafel.
Sie betrachtete die Gemälde an den holzvertäfelten Wänden, wunderte sich über die Unbequemlichkeit der hohen Lehnstühle, doch dann endlich sah sie Isaak Kopper.
Auch er war älter geworden. Weiße Strähnen durchzogen das Haar des nun 46-Jährigen. Tiefe Falten hatten sich links und rechts neben seinem Mund eingegraben.
Er grüßte sie nur mit einer knappen
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