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Die Pension Eva

Die Pension Eva

Titel: Die Pension Eva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Hand frei hatte.
    Die beiden Jungen schwitzten vor Anstrengung und auch vor Aufregung.
    Jacolino öffnete die Tür.
    »Herzlich willkommen! Kommt rein!«
    Im Hausflur lehnte sich Nenè an die Wand und legte seine Lippen dagegen.
    »Was machst du denn da?«, fragte Ciccio verblüfft.
    »Ich küsse das gelobte Land. Leider kann ich mich nicht hinknien, sonst rutscht mir der Fisch runter.«
    Jacolino deutete auf die beiden Türen, die vom Flur abgingen, und erklärte im Ton eines Reiseführers: »Das sind die Zimmer für die wichtigen Persönlichkeiten, die unerkannt bleiben möchten. Gehen wir nach oben.«
    Auf dem Treppenabsatz im ersten Stockwerk standen sie vor einer weiteren verschlossenen Tür.
    »Hier geht es zu den Zimmern, in denen die Mädchen arbeiten. Aber sie benutzen die andere Treppe, die zum großen Salon führt. Den zeige ich euch nachher.«
    Sie stiegen noch ein Stockwerk höher. Hier stand die Tür offen. Die Treppe führte weiter hinauf, wahrscheinlich zur Dachterrasse.
    Jacolino blieb vor der Tür stehen.
    »In dieser Etage haben die Mädchen und Signora Flora ihre Schlafzimmer. Außerdem befinden sich hier das Esszimmer, zwei Bäder und die Küche.«
    Es herrschte absolute Stille.
    Von dem Zimmer kam kein Lichtstrahl. Plötzlich regte sich bei Nenè ein Zweifel.
    »Sind die Mädchen überhaupt da?«
    »Na ja«, sagte Jacolino, »gestern sind die Neuen angekommen. Wahrscheinlich sind sie in ihren Zimmern und packen aus. Kommt doch erst mal rein.«
    Er machte einen Schritt zur Seite und ließ die beiden Freunde eintreten.
    Sobald sie in dem dunklen Raum waren, knipste Jacolino hinter ihnen das Licht an. Sie standen in einem großen Esszimmer, ein langer Tisch war bereits mit hübschen Tellern und Besteck gedeckt.
    Was für eine Überraschung! Vor ihnen saßen sechs Mädchen, jeweils drei auf einer Seite des Tisches. Sie waren alltäglich gekleidet und nicht geschminkt. Lächelnd blickten sie die beiden Jungen an. Wie schön die Frauen aussahen! Die Älteste von ihnen konnte kaum älter als dreißig sein. Nenè geriet ins Wanken, als er dieses Wunder Gottes sah: Das war es, worauf er so lange gewartet hatte!
    » Bonasira « , sagte die Frau am Kopf des Tisches feierlich. Sie trug eine Brille und eine Brosche an ihrem hochgeschlossenen schwarzen Kleid. Die Haare hatte sie zu einem Knoten zusammengesteckt.
    » Buonasera « , sagten die Mädchen im Chor.
    » Buonasera « , antworteten Ciccio und Nenè, während Jacolino eilig die Kiste und die Platten auf einer Etagere abstellte und seinen Freunden bedeutete, näher zu treten.
    » Signura Flora«, sagte Jacolino feierlich, »erlauben Sie, dass ich Ihnen meine Freunde vorstelle? Das ist Ciccio Bajo, und das ist Nenè Cangialosi. Wir gehen zusammen aufs Gymnasium.«
    »Sind sie auch solche Esel wie du?«, fragte Signora Flora stirnrunzelnd.
    »Nein, sie sind die Klassenbesten.«
    Ciccio machte eine Verbeugung, schlug die Hacken zusammen wie ein Oberleutnant und reichte Signora Flora den Blumenstrauß.
    »Darf ich Ihnen die Blumen als Zeichen meiner Hochachtung überreichen, Signora?«
    Erfreut senkte Signora Flora den Kopf. Dann stellte sie die Mädchen der Reihe nach vor.
    »Graziella Bianchi, mit Künstlernamen Wanda.«
    Graziella streckte Ciccio und danach Nenè die Hand entgegen. Signora Flora fuhr fort:
    »Erminia Davico, genannt Iris.«
    »Emanuela Ritter, La Tedesca, die Deutsche.«
    »Giuseppina Ranucci, genannt Conchita.«
    »Grazia Bontadini, La Bolognese.«
    »Maria Stefani, Lupa, die Wölfin.«
    Nachdem sie einmal um den ganzen Tisch gegangen waren, standen Nenè und Ciccio wieder vor Signora Flora, die den Jungen nun die Plätze zuwies:
    »Ciccio zwischen Erminia und Emanuela. Nenè zwischen Grazia und Maria. Jacolino am anderen Ende des Tisches. Setzt euch bitte.«
    Während die Mädchen seinen Freunden vorgestellt wurden, hatte Jacolino drei Weinflaschen geöffnet und den Fisch so gekonnt serviert wie ein Kellner. Nun saßen alle auf ihren Plätzen. Nenè und Ciccio wussten vor Verlegenheit gar nicht, wohin sie schauen sollten.
    Erstaunt nahmen sie zur Kenntnis, dass Signora Flora und die Mädchen sich bekreuzigten.
    »Essen wir, sonst wird der Fisch kalt«, sagte Signora Flora.
    Und so begannen sie schweigsam zu essen.
    Und das soll ein Bordell sein?, fragte sich Nenè enttäuscht und ein bisschen wütend. Auch wenn heute Ruhetag ist: Hier geht es ja zu wie in einer Klosterschule!
    Und während er so seinen Gedanken nachhing, berührte er

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