Die Peperoni-Strategie
schweigt jeder lieber. Aber was versteht man überhaupt unter Aggressionen? Und woher kommen diese heftigen Emotionen?
Seit Jahrhunderten fragen sich Theologen, Philosophen, Pädagogen und Psychologen, ob der Mensch von Natur aus gut ist und ihn nur die widrigen Lebensumstände zum Mörder, Sadisten oder Tyrannen machen, oder ob er böse geboren wird und nur die Kultur ihn dazu bringen kann, nicht über seinesgleichen herzufallen. Die Frage, ob »der Mensch des Menschen Wolf« (Thomas Hobbes) oder Schaf ist, ist nur die zugespitzte Formulierung eines der grundlegenden Probleme des Denkens in der westlichen Welt: »Was ist der Mensch?« Ist er seinem Wesen nach böse und verderbt, oder ist er seinem Temperament nach gut und fähig, sich zu vervollkommnen? So fragt der Sozialphilosoph Erich Fromm in seinem wunderbaren Buch
Die Seele des Menschen.
Diese Frage wird heute im Allgemeinen mit einem »Sowohl als-auch « beantwortet. Schon auf der Neugeborenenstation begegnen uns introvertiert-passive und sehr aktive Babys voller Lebensenergie. Ob diese Babys zukünftig ihr genetisches Mehr |32| an Power einsetzen werden, um eine Firma zu leiten und Arbeitsplätze zu schaffen oder sich als Chefs einer Hooligan-Gang beziehungsweise im kriminellen Milieu verdingen, das ist eine sozial-erzieherische Frage und ein Problem des zukünftigen Werteverständnisses des Heranwachsenden. Biologie, Ethik und gesellschaftliche Einflüsse gehen hier Hand in Hand!
Fakt bleibt, dass Aggression ein Phänomen ist, das uns überall begegnet: Jeder Mensch in jeder Kultur verfügt darüber, vom Neugeborenen, das – nicht böse gemeint – die Brustwarze der stillenden Mutter traktiert (die Wissenschaft spricht von inzidenteller, also zufälliger Aggression), bis zum bettlägerigen Greis, der sein Umfeld tyrannisiert (feindselige Aggression).
Geben Sie sich nicht dem Irrglauben hin, dass Sie vielleicht gar nicht aggressiv sein können. Vielleicht lehnen Sie Aggressivität ab, vielleicht finden Sie den Begriff zu martialisch, zu primitiv. Dennoch ist es wissenschaftlich nicht zu leugnen, dass auch die Friedliebendsten unter uns über Aggressionen verfügen. Libido und Thanatos, Liebesfähigkeit und die Fähigkeit zu zerstören, sie stecken in uns allen!
Vom Guten des »Bösen« – der Sinn der Aggression
Die bekannte Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich betont: Aggressionen »gehören zur Grundausstattung des Menschen und führen nicht nur zur Destruktion, sondern haben auch eine Überlebensfunktion«.
Dabei gibt es kein »Aggressionsgen«, das die Biologen identifizieren könnten und dessen Entnahme zu einem Mehr an Friedfertigkeit führen würde, auch wenn manche Bücher das auf den ersten Blick vermuten lassen. Der Versuch, Aggression biologisch |33| zu orten, bleibt gegenwärtig Utopie; vielmehr gibt es ein faszinierend enges Zusammenspiel der psychischen und physischen Seite der Aggression: Aggression und ihre körperlichen Reaktionen wie Schweißausbrüche, hohe Pulsfrequenz und der Verlust psychischer und körperlicher Kontrolle setzen immer eine Feindseligkeitswahrnehmung voraus. Erst, wenn jemand seine Umwelt als ihm übel gesinnt wahrnimmt, werden aggressive körperliche Reaktionen als Selbstschutz und aus territorialen Verteidigungsgründen freigesetzt. Die Reaktionskette lautet:
Feindseligkeitswahrnehmung → Gefahr → körperliche Stressreaktion → aggressive Gegenwehr (oder Flucht)
Diese Feindseligkeitswahrnehmung ist von Mensch zu Mensch höchst unterschiedlich, abhängig von seiner Ängstlichkeitsskala von »furchtlos« bis »schüchtern«. Die Ausprägung unserer Feindseligkeitswahrnehmung ist kraftvoll und lässt uns innerhalb von Sekunden vom Romantiker zum Kämpfer mutieren. Nehmen wir als Beispiel eine romantische und gar nicht bissige Situation eines meiner Studenten in Paris:
Paris, Stadt der Liebe, in der Abendstimmung, ein guter Rotwein und die Liebste im Arm unter der Brücke an der Seine – einfach schön. Keine Spur von Aggression, sondern Zärtlichkeit pur.
Doch das ändert sich plötzlich, denn meinem Studenten fällt ein Satz aus meiner Kriminologie-Vorlesung ein: »Serienmörder haben ein Faible für großstädtische Reviere.« Plötzlich hört unser romantischer Student ein Rascheln, etwas bewegt sich in der Dunkelheit. Er kann es nicht orten; Angst überschwemmt ihn. Da ist es wieder, das Geräusch! Panik kommt auf. Er lässt das Weinglas fallen, reißt seine Liebste hoch und schreit »Lauf,
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