Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pest zu London

Die Pest zu London

Titel: Die Pest zu London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Defoe
Vom Netzwerk:
genommen. Es war wunderbar; sogar die Ärzte selbst waren davon überrascht. Wo immer sie Besuche machten, fanden sie die Patienten besser vor; entweder hatten sie einmal gut schwitzen können, oder die Geschwülste waren aufgegangen, oder die Karbunkel gingen zurück, und die Entzündungen um sie herum änderten die Farbe, oder das Fieber war weg, oder der heftige Kopfschmerz hatte nachgelassen, oder sonst ein gutes Symptom hatte sich gezeigt; und so erholte sich in ein paar Tagen alles, ganze Familien, die an der Seuche darniederlagen, die schon die Geistlichen dahatten, um mit ihnen zu beten, da sie stündlich zu sterben meinten, kamen wieder hoch und wurden gesund, und kein einziger von ihnen starb.
    Und dies geschah auch nicht, weil eine neue Medizin entdeckt worden wäre oder man hinter neue Heilmethoden gekommen wäre oder weil die Ärzte neue Erfahrungen in der Behandlung gewonnen hätten; sondern es kam offensichtlich von der unsichtbaren, verborgenen Hand dessen, der diese 312
    Seuche als ein Strafgericht überhaupt zu uns geschickt hatte; und mögen die Atheisten auf der ganzen Welt über diese meine Redeweise denken wie sie wollen, es ist keine Überspanntheit; es wurde damals auch von jedermann zugegeben. Die Krankheit war entkräftet und ihre Bösartigkeit verbraucht; und mag das gekommen sein, woher es mag, mögen die Philosophen in der Natur nach Gründen suchen, die es erklären, und mögen sie sich abmühen, so sehr sie wollen, um die Schuld zu verringern, in der sie bei ihrem Schöpfer stehen – diejenigen Ärzte, die von der Religion am allerwenigsten wissen wollten, mußten zugestehen, daß es alles übernatürlich war, daß es außergewöhnlich war und daß es keine Erklärung dafür gab.
    Würde ich nun sagen, dies sei eine handgreifliche Aufforde-rung an uns alle zur Dankbarkeit, besonders für uns, die wir das Anwachsen dieses Schreckens erlebt hatten, dann würden vielleicht manche, jetzt, da man die Dinge nicht mehr so fühlt, dies für ein aufdringliches, scheinheiliges Gerede von religiösen Dingen halten; sie würden sagen, ich halte eine Predigt anstatt Geschichte zu schreiben, ich mache mich zum Lehrer anstatt meine Beobachtungen von Tatsachen mitzuteilen. Dies hält mich sehr davon zurück, hier fortzufahren, wie ich es sonst wohl getan hätte. Aber wenn zehn Aussätzige geheilt wurden und nur einer kehrte zurück, um Dank zu sagen, dann wünsche ich dieser eine zu sein und mich meinerseits dankbar zu erweisen.
    Ich will auch gar nicht leugnen, daß es genug Menschen gab, die allem Anschein nach damals sehr dankbar waren; denn sie hatten alle genug davon, auch die, deren Herz nicht gerade lange davon erfüllt war. Aber damals war der Eindruck so mächtig, daß sich ihm niemand entziehen konnte, nein, auch die Schlechtesten nicht.
    Es war nichts Ungewöhnliches, daß man auf der Straße Leute traf, die Fremde waren und von denen man nichts wußte, und sie drückten einem ihre Verwunderung aus. Als ich eines Tages durch das Aldgate ging und ziemlich viele Menschen auf und 313
    ab spazierten – kommt da ein Mann von den Minoriten her, schaut ein wenig die Straße hinauf und hinunter und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.
    »Mein Gott, was für eine Veränderung ist das! Nein! Letzte Woche erst kam ich hier entlang, und kaum eine Menschensee-le war zu sehen.« Und einen anderen Mann höre ich, wie er hinzufügt: »Es ist alles ein Wunder; es ist alles ein Traum.«
    »Gott sei gepriesen«, sagt ein dritter, »und laßt uns Ihm dank-sagen, denn Er allein hat es getan, menschliche Hilfe, menschliches Wirken war am Ende.« Und diese Menschen waren alle einander fremd. Aber ein solches Sichanreden wie dieses kam Tag für Tag häufig vor; und trotz ihres losen Gehabens gingen auch die ganz gewöhnlichen Leute die Straße entlang und sagten Gott Dank für ihre Erlösung.
    Nunmehr hatten, wie ich schon sagte, die Leute alle Furcht von sich geworfen, und das nur zu schnell; man hatte nun keine Angst mehr, an einem Mann mit einer weißen Mütze auf dem Kopf vorbeizukommen, oder an einem, der ein Tuch um den Hals gewickelt trug, oder an jemand, der auf einem Bein hinkte, weil ihn seine Wunde an den Lenden so schmerzte, und doch war das alles bis vor einer Woche noch der Gegenstand des äußersten Schreckens gewesen. Aber jetzt war die Straße voll von ihnen, und diese armen, genesenden Menschenkinder, das muß man ihnen lassen, schienen ihre unerwartete Heilung sehr dankbar zu empfinden.

Weitere Kostenlose Bücher