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Die Pest Zu London

Die Pest Zu London

Titel: Die Pest Zu London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Defoe
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ein anderer meinte ebenfalls, er sehe ihn; und so kam der Mann jeden Tag und erregte ein rechtes Aufsehen – man denke, wie schmal die Straße war – bis die Bishopsgate Turmuhr elf schlug; dann pflegte der Geist aufzubrechen, und als sei er abgerufen worden, war er plötzlich verschwunden.
    Ich schaute immer sofort angestrengt in jede Richtung, die der Mann angab, um ja den Moment nicht zu verpassen, aber konnte dennoch nicht den geringsten Anschein von irgend etwas erblicken; so sicher war der arme Kerl jedoch seiner Sache, daß die Leute sich scharenweise von ihm betören ließen und vor Schreck am ganzen Leibe zitternd davongingen; zuletzt hatte keiner, der davon wußte, mehr Lust, diesen Durchgangsweg zu benutzen, und bei Nacht schon gar nicht, was auch immer geschehen mochte.
    Dieser Geist, so versicherte der arme Kerl, machte Zeichen zu den Häusern hin und zu dem Friedhofsgrund und dann zu den Leuten, und gab damit deutlich zu verstehen, jedenfalls faßte man es so auf, daß sehr viele von den Menschen ihr Grab auf dem Friedhof finden würden, wie es dann auch geschah; aber daß er solche Gesichte gehabt habe, muß ich gestehen, habe ich niemals geglaubt, noch konnte ich selbst irgend etwas davon sehen, so sehr ich mich auch anstrengte, es, wenn möglich, zu erschauen.
    Aus diesen Dingen geht hervor, wie weit die Menschen in der Tat bereits Sinnestäuschungen erlagen; und da sie eine Ahnung hatten, daß eine Heimsuchung bevorstehe, richteten sich alle Vorhersagen auf eine entsetzliche Pestzeit, die die ganze Stadt, ja das ganze Land verheeren und fast das gesamte Volk, Mensch wie Tier, ausrotten werde.
    Hinzukamen, wie ich vorher schon sagte, die Astrologen mit ihren Geschichten von bösartigen und unheilvollen Planetenkonstellationen; eine von ihnen sollte im Oktober eintreffen, und traf auch ein, und die andere im November; und man machte den Leuten den Kopf wirr mit Vorbedeutungen, die man diesen Himmelszeichen entnahm, nämlich daß die Konstellationen Trockenheit, Hunger und Pestilenz ankündigten.
    In den beiden ersten Voraussagungen irrten sie sich freilich gründlich, denn wir hatten keine Trockenheit; dafür zu Beginn des Jahres einen strengen Frost, der vom Dezember beinahe bis zum März andauerte, und danach mäßiges Wetter, eher warm als heiß, mit erfrischenden Winden, kurz und gut, eigentlich recht angemessenes Wetter, und auch eine Reihe von schweren Regenfällen.
    Einige Anstrengungen wurden gemacht, den Druck von Büchern zu untersagen, die geeignet waren, Panik in der Bevölkerung zu verbreiten; und um sie abzuschrecken, wurden einige der Buchhändler in Gewahrsam genommen; aber weiter geschah nichts in der Angelegenheit, da, wie ich erfuhr, die Regierung alles vermeiden wollte, was die Leute verbittert hätte, die doch, wenn ich so sagen darf, ohnehin schon völlig den Verstand verloren hatten.
    Auch kann ich jene Geistlichen nicht ganz von Schuld freisprechen, die in ihren Predigten ihre Zuhörer, anstatt sie aufzurichten, eher noch zu Boden donnerten. Viele von ihnen taten das zweifellos in der Absicht, die guten Vorsätze der Leute zu kräftigen und vor allem ihre Bußfertigkeit zu beschleunigen, aber ihr Tun entsprach diesem Zweck nicht, jedenfalls nicht im Verhältnis zu dem Schaden, den es auf andere Weise anrichtete; und in der Tat, so wie Gott selbst die ganze Schrift hindurch eher durch Einladungen und Aufforderungen, sich Ihm zuzuwenden und zu leben, die Menschen anzieht, als daß Er uns mit Terror und Drohung überwältigt, so hätten auch, muß ich sagen, nach meiner Ansicht die Geistlichen verfahren sollen; hätten sie doch darin sich ein Beispiel an unserem seligen Herrn und Meister genommen, wie Sein ganzes Evangelium voll ist mit Erklärungen, daß Gott im Himmel gnädig ist und bereit, die Reumütigen aufzunehmen und ihnen zu verzeihen; ist doch Seine Klage: »Ihr wollt nicht zu Mir kommen, daß ihr das Leben habt«; darum heißt Sein Evangelium auch das Evangelium des Friedens und das Evangelium der Gnade.
    Aber wir hatten gutmeinende Männer, und zwar in jeder Glaubensrichtung und Konfession, deren Kanzelreden von Schrecken erfüllt waren, die von nichts als schaurigen Dingen zu sprechen wußten; und wie sie die Menschen nur unter einer Art von Schauder versammelten, so entließen sie sie in Tränen; sie hatten nur Schlimmes zu prophezeien, trieben die Leute in die äußerste Angst, gänzlich vernichtet zu werden, aber leiteten sie nicht an, zumindest nicht genügend,

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