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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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schlimmsten waren die Feiertage, an denen Grietgen nicht zur Arbeit musste. Dann blieb Lucia zwischen den Kindern der Küferin, wurde selten gewickelt und noch seltener gefüttert. Meist erbrach sie das altbackene, in Wasser aufgeweichte Brot sofort, mit dem Grietgen ihr »das Maul stopfte«, wie die Küferin es nannte. Am folgenden Tag kam sie dann schmutzig und mitunter verlaust zurück zu den Speyers. Al Shifa rügte Grietgen scharf für die schlechte Pflege des Kindes, aber das Mädchen hatte längst begriffen, dass ihm die Fürsorge für Lucia eine gewisse Machtposition bot: Wenn die Speyers Grietgen hinauswarfen, verloren sie Lucia. Das Mädchen machte sich insofern wenig aus Al Shifas Vorwürfen und bot mitunter sogar frech Paroli. Schließlich gab die Maurin es auf. Letztendlich war es ja nur eine Frage von wenigen Jahren, bis Lucia selbst laufen und in die Schulstraße flüchten konnte. Und allzu viele freie Tage hatten Dienstmädchen wie Grietgen nicht.
 
    Als Lucia heranwuchs, wurden ihr die Unterschiede zwischen Lea und ihr selbst zunehmend bewusster. Nun gab es jeden Abend Kämpfe und Tränen, da die Kleine nicht mit Grietgen gehen wollte. Auch Lea trennte sich nur schwer von ihrer »Milchschwester« und schrie lauthals mit. Aber ihr stand zumindest nicht das abendliche Martyrium bei den Küfers bevor. Lucia schlief jetzt nicht mehr gleich ein, wenn Grietgen sie nach Hause brachte, sondern wurde ins »Familienleben« einbezogen, das größtenteils daraus bestand, dass die anderen Kinder sie neckten und quälten.
    »Was ist ein Hurenkind?«, fragte sie eines Morgens Al Shifa, als sie drei Jahre alt war. Die Maurin ließ die Kinder zu ihren Füßen spielen, während sie Sarahs feine Truhen aus edelsten Hölzern abstaubte und wachste. Lucia und Lea stellten Tonfigürchen zusammen und spielten »Familie«.
    Sarah von Speyer, die mit einem Buch am Feuer gesessen hatte, schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
    »Was kennt das Kind für Ausdrücke, Al Shifa? Lucia, Spätzchen, solche Worte wollen wir nicht in den Mund nehmen!«
    Lucia blickte verständnislos, wobei der fragende Blick aus ihren tiefblauen Augen zwischen ihren beiden Pflegemüttern hin und her wanderte.
    »Aber die Küfer-Kinder tun's!«, sagte sie. »Gestern haben sie mich so genannt. Und wenn ich ein ... äh ... bin, muss ich doch wissen, was das ist.«
    Der gestrige Tag war Karfreitag gewesen, stets der meistgefürchtete Tag des Jahres für die Juden von Mainz. Der jüdischen Bevölkerung war es am Tage der Kreuzigung Christi verboten, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Sie verschanzten sich in ihren Häusern, ängstlich bemüht, nicht die geringste Aufmerksamkeit zu erregen. Schon Kleinigkeiten konnten an solchen Tagen Verfolgungen auslösen. Der Bischof von Mainz hielt zwar offiziell seine schützende Hand über die Gemeinde, doch bei den letzten Ausschreitungen hatten seine Büttel erst eingegriffen, nachdem zehn Gemeindemitglieder getötet worden waren.
    Al Shifa war zwar keine Jüdin, hielt sich aber trotzdem zurück, obwohl ihr Herz blutete, wenn sie Lucia mit den Küfers zur Kirche gehen sah. Sie fürchtete sich stets vor dem, was die Kleine dort zu hören bekam - sowohl während der Messe von den Priestern als auch vorher und hinterher von den anderen Kindern. Dazu kam, dass Lucia im Hause der Speyers unweigerlich an jüdischen Festen und Zeremonien teilnahm. Das Kind plapperte die hebräischen Gebete ebenso eifrig nach wie die Lieder und Kinderreime, die Al Shifa ihm in ihrer eigenen Sprache vorsang. Nicht auszudenken, wenn Lucia etwas davon vor dem Pfarrer wiederholte!
    Aber nun hatte sie wohl weniger ihre Erziehung bei den Juden als ihre eigene Vergangenheit eingeholt. Al Shifa seufzte.
    »Du musst nicht darauf hören, Lucia!«, meinte sie schließlich. »Hurenkind bedeutet ... nun, es bedeutet, dass Mutter und Vater eines Kindes nicht miteinander verheiratet waren. Aber das ist bei dir nicht so. Deine Mutter hat der Frau Rachel versichert, sie sei deinem Vater vor Gott und Gesetz angetraut gewesen. Die Kinder wollen dich nur ärgern, Lucia.«
    Lucia überlegte. »Aber die Küferin hat doch auch keinen Mann«, folgerte sie dann. »Sind ihre Kinder dann nicht ...«
    Sarah von Speyer unterdrückte ein Lachen.
    »Deshalb reden wir nicht darüber!«, beendete Al Shifa resolut das Gespräch. »Und nun komm, Lucia. Du kannst mir helfen, den Herd zu befeuern, damit es heute noch etwas Warmes zu essen gibt ...«
    Den Juden war dies

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