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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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selbstverständlich Arabisch, während Lea Al Shifas Sprache nur in Bruchstücken aufschnappte. Ohnehin war Lucia lerneifriger als ihre Milchschwester. Sie erfasste auch das Hebräische schneller und überraschte Al Shifa, indem sie selbst lateinische Verse nachplapperte. Dabei saß sie nur spielend dabei, wenn Al Shifa Leas ältere Söhne unterrichtete.
    »Aber du kannst das doch auch alles!«, meinte Lucia gelassen, als Al Shifa sie darauf ansprach. »Wenn die Mädchen in deinem Land es lernen ...«
    Lucia wusste längst, dass es in Mainz höchst ungewöhnlich war, wenn Mädchen Latein und Griechisch lernten. Die meisten Bürgerkinder konnten zwar lesen und schreiben, doch Frauen wie die Küferin legten keinen Wert darauf. Grietgen und ihre Geschwister beherrschten es folglich nicht. In jüdischen Familien dagegen lernten zumindest die Jungen meist mehrere Sprachen, auf jeden Fall ausreichend Hebräisch, um die Thora zu studieren. Wenn die Familie sich keinen Privatunterricht leisten konnte, fand der Unterricht in der Synagoge statt, der »Schul«. Mädchen wurden fast immer zu Hause unterrichtet, häufig von ihren Müttern, seltener von den Hauslehrern ihrer Brüder. Hier bot der Haushalt der Speyers eine echte Ausnahme, über die man auch unter den Juden von Mainz tuschelte: Al Shifa, die Maurin, unterrichtete Latein und Griechisch. Nur für das Studium des Hebräischen kam ein anderer Lehrer ins Haus.
    Al Shifa lächelte. »Auch in meinem Land lernen es nicht alle Mädchen«, erklärte sie dann. »Ich habe eine Schule besucht ...«
    »Ja, ich weiß!« Lea lachte und drehte sich anmutig in der Mitte der Stube. Sie trug ein neues Kleid aus Seide, die ihr Vater aus den Manufakturen in Al Andalus hatte kommen lassen. »Und da hast du auch tanzen gelernt und singen und die Laute spielen! Wenn ich groß bin, will ich auch in solch eine Schule!«
    »Was der Ewige in seiner übergroßen Güte verhüten möge!«, bemerkte Sarah entsetzt.
    Lea schaute verständnislos. Im Gegensatz zu der eher ernsten Lucia war sie der Sonnenschein der Familie. Singen und Tanzen waren ihre größte Freude, und sie schlug auch schon ein wenig die Laute. Was mochte ihre Mutter wohl dagegen haben, wenn sie sich hier vervollkommnete?
    Al Shifa lächelte. »Man geht nicht einfach in eine solche Schule, Lea, man wird dorthin verkauft!«, erklärte sie dann gelassen. »Das ist kein allzu erstrebenswertes Schicksal, wenn auch nicht das Schlimmste, was einem Sklavenmädchen passieren kann. Aber du, meine Süße, bist ja keine Sklavin, sondern eine Prinzessin. Allein dein späterer Mann soll sich an deinem Gesang und Tanz freuen. Und das wird er gewiss, auch wenn du diese Künste nicht studierst! Latein und Griechisch dagegen haben nichts Anstößiges. Frauen können es ebenso lernen wie Männer, auch wenn sie es seltener benötigen.«
    Lea zeigte allerdings kein Interesse an der Aneignung dahingehender Kenntnisse. Lucia blieb allein, wenn sie nach dem Unterricht der Jungen in ihren Büchern schmökerte.
 
    Inzwischen musste Lucia sich jeden Tag damit auseinandersetzen, dass sie anders war. Sie fiel sowohl unter den Christen auf als auch unter den jüdischen Kindern, die manchmal zu den Festen der Speyers kamen und deren christliches Pflegekind spätestens dann misstrauisch beäugten, wenn es nicht mit in die Synagoge durfte. Das Mädchen fand jedoch Trost darin, dass sich auch Al Shifa von allen anderen Frauen unterschied, die sie kennen lernte, und sie schöpfte Kraft aus der würdevollen Art der Maurin, damit umzugehen. Das Leben in Mainz war nicht immer leicht für Al Shifa. Die Juden waren in den christlichen Städten zwar nur widerwillig geduldet, hatten aber immerhin Bürgerrechte. Vor der Maurin dagegen spien die Christen ungeniert aus, wenn sie über den Budenmarkt am Dom ging oder durch die Läden am Flachsmarkt schlenderte. Lucia verstand nicht ganz warum. Sie konnte auch nicht nachvollziehen, warum man den Juden vorwarf, Jesus Christus getötet zu haben. Sein Tod lag schließlich schon so lange zurück, dass Benjamin von Speyer und die anderen Gemeindemitglieder schwerlich daran beteiligt gewesen sein konnten. Und Al Shifas Volk beschuldigte man, das Heilige Land gestohlen zu haben. Dabei kam Al Shifa gar nicht aus Palästina, und die Speyers hätten sie auch kaum im Haus behalten, wenn sie zu Diebstählen neigte. Al Shifa würdigte die Pöbeleien und Schmähungen denn auch nie einer Antwort. Sie bewegte sich so anmutig und würdevoll

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