Die Pestärztin
andere drall und dunkelhaarig.
»Sie stirbt, Annchen!«, flüsterte die Blonde. »Gott sei ihrer Seele gnädig. Meiner Treu, kann nicht ein Priester ...«
»Ein Priester kommt nicht in ein Hurenhaus, dummes Lenchen.« Annas Stimme klang jetzt nachsichtig. Sie schien als Hübschlerin erfahrener zu sein als die lange Lene.
»Vielleicht reicht ja auch eine Hebamme!«, bemerkte Rachel und erschreckte die Mädchen damit beinahe zu Tode. Beide fuhren zu ihr herum und erschauerten beim Anblick der schwarz gekleideten, dick in ihre Schals und Umhänge vermummten Frau, die sich plötzlich aus dem Dunkel schälte.
»Der Tod ...!«, wimmerte Lene.
Das beherztere Annchen schüttelte den Kopf. »Das wär's erste Mal, dass der Sensenmann sein Weib schickt«, spottete sie. »Nein, die da kenn ich. Ist bloß 'ne alte Jüdin, die schleicht hier öfter rum. Auch nachts ... wer weiß, vielleicht treiben's die Hebräer ja lieber mit alten Vetteln.«
Rachel schlug verärgert ihren Kopfschutz zurück und enthüllte ihre Haube, die sie als ehrbare Frau auswies. »Die Hebräer liegen am liebsten den eigenen Frauen bei und wachsen und mehren sich, wie der Ewige befiehlt!«, gab sie streng zurück. »Und wenn er ihre Verbindung segnet, kommt das Kind meist nicht im Stall zur Welt, sondern im Haus und unter den Händen einer alten Vettel wie mir. Und jetzt lass mich vorbei, Dirne, ich will sehen, ob ich deiner Freundin noch helfen kann!«
Lene lamentierte, dass Rachel ihrer Ansicht nach lästerliche Reden über Christi Geburt geführt habe, doch Anna - offenbar praktischer veranlagt als ihre Freundin - gab rasch den Weg frei. Rachel machte sich auch keine Sorgen, obwohl ihr die Anspielung auf eine andere Geburt im Stall entschlüpft war. Wenn es jemanden gab, dem man noch weniger Glauben schenkte als einer Jüdin, so war es eine Hure. Und diese Mädchen drückten sich auch bestimmt nicht mit Billigung ihres Hurenwirtes im Stall herum. Der duldete keine schwangeren Hübschlerinnen in seiner Schenke. Lene und Anna mussten ihre Freundin also hier versteckt haben. Ihre Furcht vor Entdeckung war gewiss größer als ihr Glaubenseifer.
Rachel stellte ihre Tasche ins Stroh und warf einen ersten aufmerksamen Blick auf die junge Frau, die hier auf ein paar stinkenden Decken lag und vergeblich versuchte, ihr Kind herauszupressen. Einen Herzschlag lang stockte Rachel fast der Atem, als sie das Gesicht des Mädchens sah. Natürlich war es jetzt verschwollen und verweint, die Lippen zerbissen vor Qual. Doch es war immer noch zu erkennen, wie engelhaft schön dieses junge Ding gewesen sein mochte, als es das unselige Kind empfing. Es hatte zarte, elfenbeinfarbene Haut und goldbraunes, gelocktes Haar. Der Gesichtsschnitt war nicht grob wie die Züge von Anna und Lene, sondern so fein, dass sie einem Madonnenmaler hätte Modell stehen können. Schmale, zarte Hände krampften sich um die groben Decken, als ihr graziler Körper von einer neuerlichen Wehe erfasst wurde.
»Oh Maria, oh Jungfrau, oh heilige Mutter Gottes!«,
Das Mädchen stieß die Worte aus. Es war also noch bei Bewusstsein, auch wenn es eben keinen Ton von sich gegeben hatte, während Anna und Lene den Blutstrom kommentierten, der anstelle des Kinderkopfes zwischen den Beinen des Mädchens hervorschoss.
Rachel untersuchte es rasch.
»An eurer Mutter Gottes hättest du dir früher ein Beispiel nehmen sollen«, brummte sie dabei. »Jungfrauen passiert so was nur selten ...«
Das Mädchen wimmerte, als die Wehe verebbte, schien dann aber seine ganze Kraft zusammenzunehmen und wandte sich mit klarer Stimme an Rachel.
»Es ist kein Hurenkind!«
Die Kleine schien noch etwas sagen zu wollen; dann aber erfasste sie die nächste Wehe. Sie folgten jetzt rasch aufeinander, doch die Hübsche konnte das Kind nicht herauspressen. Rachel hatte längst erkannt, woran es lag.
»Das Kind liegt falsch«, erklärte sie den Mädchen und der jungen werdenden Mutter, sofern diese überhaupt noch imstande war, die Worte aufzunehmen. Nach der letzten Wehe wimmerte sie nur noch. »Mal sehen, ob ich es drehen kann. Aber es ist spät, sie ist schon sehr geschwächt. Obendrein ist irgendwas in ihr zerrissen, sie verliert zu viel Blut. Wie heißt sie denn? Wie heißt du, Mädchen?«
Rachel wandte sich hoffnungsvoll an die Wöchnerin, doch es war Anna, die schließlich antwortete.
»Beatrix heißt sie. Aber woher sie kommt, wissen wir nicht. Tauchte vor ein paar Monaten hier auf, zusammen mit ihrem Stecher.
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