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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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abzunehmen.
    »Ich wurde aufgehalten, Reb Speyer.« Rachel wählte eine ehrfurchtsvolle Anrede. »Wobei mir dies hier in die Hände fiel.«
    Sie wickelte das Neugeborene aus dem Schal und hielt es dem Hausherrn entgegen. Die Kleine wimmerte, als sie sich dem Schutz und der Wärme der Wolle beraubt fühlte. »Würdet Ihr wohl veranlassen, dass man dem armen Wurm etwas Milch gibt und ihn wärmt und wickelt?«
    Benjamin von Speyer musterte das Kind mit einem Blick, der zwischen Verwunderung und Abscheu schwankte. »Das ist ein Neugeborenes! Habt Ihr es ... gefunden, Frau Rachel?«
    Rachel vernahm die vorwurfsvolle, unausgesprochene Frage »Und dafür habt Ihr uns warten lassen?« hinter seinen höflichen Worten.
    »In gewisser Weise, ja«, sagte sie ungeduldig. »Kann es mir nun einer abnehmen, sodass ich Eurer Frau zu Hilfe eilen kann?«
    »Aber es ist ein Christenkind, nicht wahr? Oder glaubt Ihr ...?«
    Benjamin von Speyer gehörte zu den Vorstehern der Jüdischen Gemeinde. In Gedanken ließ er alle heiratsfähigen Mädchen vor dem inneren Auge vorüberziehen. Nein, von denen konnte keine schwanger gewesen sein.
    »Es ist ein Christenkind, aber kein Hurenkind, wie man mir sagte«, bemerkte Rachel. »Vor allem ist es ein Kind und hat Hunger. Ein Mädchen übrigens. Hier, nimm es, aber lass es nicht fallen!« Sie drückte der kleinen Küchenmagd das Bündel in die Hand und steuerte dann energisch die Wochenstube an.
    »Ich werde es nehmen«, sagte eine dunkle Stimme mit seltsam singendem Akzent. Al Shifa, die Maurin, hatte das Lager ihrer Herrin verlassen. Dabei konnte sie die Stimmen Rachels und Benjamins im oberen Stockwerk kaum gehört haben. Aber vielleicht war Sarah auch nur ungeduldig geworden und hatte nach ihrem Gatten verlangt. Das Küchenmädchen betrachtete Al Shifa dennoch mit Argwohn; es schien der Frau aus dem Morgenland magische Fähigkeiten zuzutrauen.
    Rachel teilte diesen Glauben nicht, fühlte sich aber dennoch seltsam berührt von Al Shifas Anblick. Von der Maurin ging eine Würde aus, die keiner anderen Frau gleichkam, mit der die alte Hebamme je zu tun gehabt hatte. Die Sklavin bewegte sich mit tänzerischer Anmut, und jede ihrer Gesten schien eine seltsame Geschichte zu erzählen. Man konnte den Blick kaum von ihr wenden; sie beherrschte unweigerlich den Raum. Al Shifa war nicht mehr jung, musste aber eine außergewöhnliche Schönheit gewesen sein. Ihre Haut war dunkler als die der meisten Jüdinnen, aber nicht schwarz oder olivfarben, sondern eher, als habe man Sahne mit dunkler Erde vermischt. Al Shifas Züge waren edel, die Wangenknochen hoch, die Lippen fein und klar geschnitten. Ihre Augen leuchteten in hellem Braun, fast golden, eine seltsame, betörende Farbe, und ihr Haar musste tiefschwarz gewesen sein, ehe sich erste graue Fäden darin gezeigt hatten. Als artige Dienerin trug sie ihre Haarpracht aufgesteckt unter einer Haube, doch die Flechten waren so üppig, dass es kaum möglich war, sie gänzlich zu verbergen. Hätte Al Shifa sie offen gelassen, hätte das Haar ihren Körper wie ein Mantel umweht. Was nun diesen Körper anging, gab die Maurin sich alle Mühe, ihn unter der schlichten Kleidung einer Magd zu verstecken, doch war nicht zu übersehen, dass Al Shifas Körper vollkommen war. Rachel fragte sich, ob Sarah nicht manchmal um die Treue ihres Gatten fürchtete. Doch Benjamin von Speyer hatte wohl keine Augen für Al Shifas Reize, und die Maurin selbst ermutigte keinen Mann. Zumindest wurde nicht über sie getratscht, was das betraf.
    Jetzt näherte sie sich der Hebamme und verbeugte sich.
    »Ihr seid nicht zu spät, das Kind liegt richtig, und es ist nicht groß. Die Herrin leidet nicht schlimmer, als Gott es jeder Frau auferlegt, doch eine oder zwei Stunden wird es wohl noch dauern. Die Pforte öffnet sich langsam. Wenn Ihr gestattet, werde ich mich um Euer Findelkind kümmern, während Ihr nach der Herrin seht. Ruft mich, falls Ihr mich braucht.«
    Al Shifa wartete nicht ab, ob Rachel irgendetwas gestattete. Sie nahm dem Küchenmädchen ganz selbstverständlich das Kind aus dem Arm und legte sein Gesichtchen frei - und dann sah Rachel die Maurin zum ersten Mal lächeln. Ihre langen, schlanken Finger streichelten die zarten Züge des kleinen Mädchens.
    »Das Licht der Sonne hat dich geküsst«, sagte sie selbstvergessen und strich über den goldenen Flaum auf dem Köpfchen der Kleinen. »Mögen alle Küsse, die du je empfangen wirst, so warm und süß sein!«
 
    Rachel

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