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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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grausam. Da erfriert's doch!«
    Rachel wiegte das winzige Neugeborene, das jetzt traurig vor sich hin wimmerte, als verstünde es die Worte der Dirnen. Es brauchte Wärme und Milch - und die einzigen Menschen, denen seine Mutter sich hatte anvertrauen können, dachten nur darüber nach, wie man es ohne größere Auswirkung auf ihr eigenes Seelenheil möglichst schnell loswurde.
    »Ich hab's nicht zur Welt gebracht, um es zu ertränken!«, herrschte Rachel die Mädchen an. »Die Mutter sagte, es sei kein Hurenkind. Was kann sie damit gemeint haben? Gibt es irgendwelche Verwandten?«
    Anna zuckte die Schultern. »Sie sagte, sie wär verheiratet gewesen mit ihrem Stecher. Geglaubt haben wir's nicht. Aber dem Hurenwirt verdingt hat sie sich erst, als der Kerl am Galgen baumelte. Noch ehe er kalt war, sonst hätt sie raus gemusst aus der Stube bei der Schenke. Konnt ja die Miete nicht mehr zahlen, und da kennt er keine Gnade, unser Herr Heinrich. Jedenfalls war sie dann allein mit ihrem Balg im Bauch ...« Sie zeigte auf das Mädchen in Rachels Armen.
    Rachel seufzte. Wie es aussah, blieb die Sache an ihr hängen. Wenn sie Anna und Lene das Kind überließ, würde es die Nacht nicht überleben.
    Lene beugte sich jetzt immerhin über das Neugeborene und schaute in sein zartes Gesichtchen.
    »Ein Jammer«, murmelte sie. »Aber Ihr müsst es einsehen! Wenn wir's behalten, fliegen wir raus ... der Herr Heinrich setzt uns schon vor die Tür, wenn er nur mitkriegt, dass wir Bea versteckt haben. Und dann stehen wir mit dem Balg auf der Straße. Da ist keinem mit geholfen. Und davon kriegt's auch keine Milch.«
    Letzteres war nicht von der Hand zu weisen. Diese Mädchen waren nicht böse. Grausam war nur das Leben, das sie führten. Rachel urteilte jetzt ein wenig milder über sie, nur half das auch nicht weiter.
    »Also schön, ich nehm's mit«, fügte sie sich schließlich in ihr Schicksal. »Vielleicht werde ich's in einem Kloster los.«
    Sehr viel Hoffnung machte sie sich allerdings nicht. Die Nonnen hätten ihr die Geschichte erst einmal glauben müssen. Eine jüdische Hebamme, die nachts in einem dunklen Stall ein christliches Kind entband - wer konnte sagen, welche Folgen das für sie selbst haben mochte? Rachel stand nur Jüdinnen bei; die Christen hatten ihre eigenen Geburtshelferinnen, und die verteidigten ihre Pfründe. Natürlich hätte sich keine von ihnen dazu herabgelassen, einer kreißenden Dirne zu helfen, egal ob Christin oder nicht. Aber wenn Rachel sich hier einmischte und obendrein eine tote Mutter zurückließ ... Sie hatte keine Lust, dieses Abenteuer womöglich auf einem Scheiterhaufen zu beschließen!
    Anna und Lene wirkten deutlich erleichtert, als Rachel schließlich mit dem Neugeborenen abzog. Es regnete immer noch, und Rachel musste das Kind unter all ihren Tüchern und Umhängen verstecken, damit es nicht nass wurde und womöglich doch noch erfror.
    Aus den Wohnvierteln der Christen erscholl jetzt der Ruf des Nachtwächters. Die elfte Stunde hatte geschlagen. Rachel überkam ein Anflug von Schuldgefühl: Über Beatrix' Entbindung hatte sie Sarah von Speyer fast vergessen! Die Wöchnerin und ihr Gemahl würden bereits ungeduldig warten. Hoffentlich war es nicht wieder eine so schwere Geburt wie damals bei David! Und dem Ewigen sei Dank, dass Sarah immerhin Al Shifa an ihrer Seite hatte.

2
 
    R achel kam jetzt schnell vorwärts und erreichte bald das wuchtige steinerne Stadthaus in der Schulstraße, das Benjamin von Speyer mit seiner Familie bewohnte.
    Der Hausherr selbst öffnete so schnell auf ihr Klopfen, als hätte er hinter der Tür auf sie gewartet. Zweifellos stand ihm Davids knappes Überleben noch zu deutlich vor Augen, als dass er der Sache gelassen gegenübertreten konnte. Vielleicht hatte er sich in dem kleinen Kontor im Vorderhaus mit Arbeit abgelenkt.
    »Da seid Ihr ja endlich, Frau Rachel!«, bemerkte er erleichtert. Benjamin von Speyer war ein hochgewachsener Mann in mittleren Jahren, der erst spät eine Familie gegründet hatte. Als Fernhandelskaufmann hatten seine Reisen ihn um die halbe Welt geführt. Seiner jungen Frau war er nun aber herzlich zugetan, wie Rachel schon bei früheren Besuchen bemerkt hatte. Seine beiden Söhne, Esra und David, vergötterte er. »Wo habt Ihr denn bloß gesteckt? Ich habe schon vor Stunden nach Euch schicken lassen!«
    Von Speyer ließ Rachel ein, und das zittrige Küchenmädchen von vorhin machte Anstalten, ihr die Umhänge und Schals

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