Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Pestmagd

Titel: Die Pestmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
nicht lügt?«
    » Niemand. Und jetzt komm!«
    Er stieß ihn vor sich her, die Treppen hinunter, die in den Bauch der Erde zu führen schienen. Dann öffnete sich der schmale Gang. Da beide ungefähr die gleiche Größe hatten, mussten sie sich beide bücken, um nicht mit dem Kopf an den Fels zu stoßen.
    Plötzlich blieb Jakob stehen.
    » Das ist doch eine Falle«, sagte er. » Wenn Ihr mich hier unten abstecht, wird niemand nach mir suchen. Keinen Schritt gehe ich mehr!«
    » Du wirst gehen«, sagte Vincent. » Und zwar rasch. Nele wartet auf dich. Und Johanna, deine Mutter.«
    » Johanna?« Abermals hielt Jakob inne. » Aber ich hab ihr doch die toten Tiere gebracht! Weil ich dachte …«
    » Ich weiß.« Vincents Stimme war weich. » Nicht Johanna hat dich verkauft, sondern Ita. Das hat sie mir selbst gestanden.«
    » Woher wisst Ihr das alles?«, schrie Jakob. » Seid Ihr Gott?«
    » Nein«, sagte Vincent. » Ich bin dein Vater, Jakob. Und jetzt komm! Wir müssen uns beeilen!« Er zog sein Messer heraus, um die Fesseln durchzuschneiden, und mühte sich zunächst vergeblich durch den dicken Strick.
    » Mein Vater?« Jakob schien kurz den Atem anzuhalten. » Und Ihr lügt nicht?«
    » Dein Vater. Und ich lüge nicht.«
    » Dann hätte ich da ein weitaus besseres Messer anzubieten«, sagte Jakob. » Aber es ist so tief in meiner Tasche versteckt, dass ich es ohne Hilfe nicht herausziehen kann. Rechts – und du musst sehr tief graben!«
    Vincent wühlte nach dem Messer. Eine tiefe Falte stand zwischen seinen Brauen, als er es zutage befördert hatte und wiedererkannte. Dann begann er zu lachen.
    » Du Hundling«, sagte er. » Du hast es mir gestohlen! Damit kann man Leben retten. Zum Beutelabschneiden ist es viel zu schade.«
    » Nenn mich niemals wieder so!«, kam die scharfe Antwort. » Wirst du das versprechen?«
    » Wie soll ich dich denn dann nennen?«, fragte Vincent.
    » Jakob. Einfach nur Jakob.«
    x
    Johanna presste sich an die Wand. Das schmutzige Laken, das sie vorbereitet hatte, lag wie eine Schlange zu ihren Füßen. Normalerweise zwang sie Marusch zu dieser Arbeit, weil diese sich nur zu gern vor allem drückte. Heute jedoch hatte Marusch über schlimmes Zahnweh geklagt, und Johanna hatte mit Grit zwei Leichen auf den Karren gewuchtet und sich dann mit einer gemurmelten Entschuldigung zurück ins Pesthaus verzogen.
    » Mehr habt Ihr nicht?« Die Stimme des Goldgräbers klang rau vor Erschöpfung.
    » Heute nicht«, hörte sie Grit antworten. » Morgen bestimmt wieder. Wir haben zwei, denen geht es sehr schlecht.«
    Johanna vernahm, wie der Goldgräber auf den Bock kletterte. Gleich würde die alte Mähre weiterzockeln.
    Johanna riss das Fenster auf. Noch stand der Karren direkt unter ihr.
    Sie schlang das Tuch um sich.
    Vincent, dachte sie, Jakob – ich komme!
    Dann sprang sie mitten in den Leichenhaufen.

EPILOG
    AACHEN, MÄRZ 1541
    E iskalt, dazu dieser bestialische Gestank, der in die Poren dringt.
    Sie versucht sich zu bewegen, doch das Laken, in das sie sich gewickelt hat, umschließt sie fest wie ein Leichentuch – eine Tote unter vielen anderen. Der Stapel wird immer höher.
    Jetzt ist sie unter Leichen begraben.
    Arme, Beine, alles starr.
    Plötzlich wird das Halsband eng wie eine Eisenfessel.
    Sie würgt, will schreien, aber die Stimme gehorcht ihr nicht mehr.
    Wird sie jetzt auch noch stumm sein?
    Voller Entsetzen reißt sie die Augen auf …
    Nur langsam beruhigte sich das rasende Pochen ihres Herzens, doch Hände und Füße waren eiskalt, wie immer, wenn diese Bilder sie quälten.
    Morgensonne schien durch das Fenster und malte ihre Kringel auf den dunklen Boden. Das Bett war weich und warm. Neben ihr lag Vincent, der sie besorgt betrachtete.
    » Wieder dieser Albtraum?«, fragte er leise.
    Johanna nickte.
    » Der Leichenkarren war das Schlimmste von allem«, sagte sie. » Neben ihnen, unter ihnen, zwischen all den Toten liegen zu müssen – als gehörte man schon zu ihrer Welt.«
    » Ich weiß«, sagte er. » Aber wie hättest du sonst aus dem Pesthaus kommen sollen?«
    Sie wandte sich ihm zu. » Wird das denn niemals aufhören?«, fragte sie. » Nicht einmal jetzt, wo ich bei dir und in Sicherheit bin?«
    » Deine Seele muss es erst ganz verstehen«, erwiderte er. » Dann kann sie eines Tages auch dem Kopf glauben, der das behauptet. Aber ich kenne ein erprobtes Mittel, das alles beschleunigen kann. Willst du es ausprobieren?« Seine Augen begannen zu lächeln.
    » Wieder eines deiner

Weitere Kostenlose Bücher