Die Peststadt
Wassereimer, das lange Seil hing in Schlingen herunter. Elivara rannte entsetzt auf die zuckenden Körper zu.
Eine Frau bahnte sich einen Weg durch die Umstehenden und trug einen Krug. Sie beugte sich zu dem Mädchen hinunter und schrie: »Sie sind vergiftet, Königin!«
Ein grau gekleideter Mann humpelte auf die reglosen Körper zu und untersuchte sie mit geübten Griffen. Er wandte sich an Elivara und sagte halblaut: »Zu spät. Sie sind tot. Alle vier haben von dem Wasser getrunken.«
Er zeigte auf den Brunnen. Elivara blickte sich aufmerksam um, nahm einem Leibwächter die Fackel aus der Hand und näherte sich dem Brunnen. Als sie sich über den gemauerten Schacht beugte, nahm sie einen fauligen, stechenden Geruch wahr.
Die Frau, die versuchte, dem Mädchen warme Milch einzuflößen, schrie in ohnmächtiger Wut: »Die verfluchten Caer- Priester! Ihre Zauberei hat das Wasser vergiftet!«
Der narbige Anführer, der sich seit Tagen immer in unmittelbarer Nähe der Königin aufhielt, nahm eine Fackel und leuchtete in den Brunnen hinein. Er glaubte, auf dem Wasserspiegel einen runden, sackähnlich aufgeblähten Gegenstand treiben zu sehen.
»Ich bin nicht sicher«, schrie er, »aber im Brunnen liegt ein Kadaver. Er hat das Wasser vergiftet.«
Das Mädchen würgte jeden Schluck, den ihm die Frau einflößte, qualvoll wieder hervor. Ihr dünner Körper bäumte sich auf.
»Es waren die Caer!«
»Sie haben jemanden von uns mit Magie gezwungen, ein totes Tier in den Brunnen zu werfen«, widersprach die Königin. »Wie auch immer, der Brunnen ist vergiftet worden. Legt Bretter darüber, aber zuerst lasst jemanden hinunter, der den Kadaver heraufzieht! In einigen Wochen ist das Wasser wieder rein. Trotzdem darf niemand einen Tropfen davon trinken. Ich befehle es!«
Hände griffen zu und legten die zwei Lebenden auf einen Karren. Unablässig versuchten die Anwohner, die Vergiftung mit warmer Milch zu bekämpfen, das einzige Mittel, das sie kannten. Der Leibgardist sprang, die auflodernde Fackel über dem Kopf schwingend, auf den Brunnenrand und rief nach einem langen Blick der Verständigung mit der Königin:
»Ich bin Dhorkan, der Stiefsohn des Stadthauptmanns Torm Shar. Ich begleite die Königin. Tut, was Elivara gesagt hat: Entfernt den Kadaver und verschließt den Brunnen. Es war vielleicht Magie der Caer-Priester, die einen von uns heute dazu brachte, beinahe ein Stadttor zu öffnen. Und es war vielleicht dieselbe Magie, die jemanden antrieb, ein verwestes Schaf oder eine Ziege in den Brunnen zu werfen. Wir werden auch die Priester zurücktreiben, aber nur dann, wenn jeder weiterhin so tapfer kämpft wie bisher. Niemand wird uns helfen! Wir sind ganz allein. Und alle Gegenwehr kommt nur aus den Mauern der Stadt. Hofft auf euch, aber hofft nicht auf ein Wunder! Wir sind vierzigtausend, und die Caer sind weniger als ein Viertel von uns. Und jetzt - gönnt unserer Königin etwas Ruhe! Vielleicht kann ich sie überreden, ein paar Stunden in Schloss Fordmore auszuruhen. Sie hat selbst gesagt, dass die Tore für jeden offenstehen, der ein Anliegen hat.«
Er hoffte, während er redete, dass niemand ein Anliegen haben mochte. Die Königin brauchte mehr als nur ein paar Stunden Ruhe. Er wirbelte noch einmal die Fackel über seinem Kopf und sprang vom Brunnenrand herunter.
Er winkte. Die Königin lächelte schon zum zweiten Mal an diesem Abend. Dhorkan nickte ihr zu, schlug mit der flachen Hand knallend auf die Flanke des Rappen. »Los! Und zwar schnell!«
Er hatte gesehen, dass die Königin am Ende ihrer Kräfte war. Das Gespann zog an und verließ in langsamer Fahrt den Platz. Drei Schritt hinter dem Wagen der Königin ritt Dhorkan, die linke Hand am Zügel, die rechte am Griff des Schwertes.
*
Die Dandamaren, ein unabhängiges und stolzes Volk, hatten seit jeher weniger durch Bestellung der Felder ihren Reichtum gesammelt, sondern durch den Handel, der sich in und um ihren Hafen herum abspielte. Sie waren Kaufleute und Seefahrer, und seit Generationen herrschten Könige über sie, die weise, friedliebend und weitsichtig waren. Der letzte König aus dem Geschlecht war Carnen gewesen, der Vater der jungen, mandeläugigen Elivara; seine Frau und er hatten den Stadtstaat zur Blüte gebracht und dafür gesorgt, dass jeder Bürger ein gutes Leben hatte.
Während Elivara den Wagen durch die Gassen und Straßen Nyrngors in die Richtung der Pestburg lenkte, dachte sie über diesen Tag nach. Sie war wirklich müde und
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