Der Hexer von Hymal 01 - Ein Junge aus den Bergen
Erstes Kapitel: Aufbruch ins Ungewisse
N ikko ließ sich viel Zeit beim Ausmisten der Ställe. Nicht etwa, um die Schufterei zu genießen. Vielmehr mangelte es auf dem Hof nie an mehr Arbeit. Warum also sollte er sich beeilen, wenn doch schon die nächste Drecksarbeit auf ihn wartete? Wer zu schnell arbeitet, schuftet am Ende ja doch nur mehr. Außerdem pfiff in den Ställen wenigstens kein kalter Wind, wie draußen auf dem Hof. Ein guter Platz also, um etwas Zeit zu schinden.
Glücklicherweise lag die kalte Jahreszeit in ihren letzten Zügen und würde das Dorf schon bald aus ihrem eisigen Griff entlassen. Die Schneedecke hatte ja schon begonnen, wieder in die Berge zu weichen. Bald würde sie auch die grünen Bergwiesen freigeben und er würde endlich wieder die Ziegen auf die Alm treiben können. Diese Aussicht zauberte sogleich ein Lächeln auf sein Gesicht. Nicht etwa, dass ihm das Ziegenhüten viel mehr Freude bereitete, aber so würde er wenigstens tagsüber vom Hof fortkommen und auf den einsamen Wiesen seine Ruhe haben.
»Bist du etwa immer noch nicht fertig?«, entriss ihn jäh eine forsche Stimme aus seinen Gedanken. Es war die Gimus, seines ältesten Bruders.
»Mach schneller! Du musst doch noch die Scheune freischippen«, schnauzte der Bruder. »Da ist der Schnee vom Dach gerutscht und versperrt das ganze Tor.«
»Mach doch selbst! Ich muss heute noch zu Thorodos«, log Nikko und erntete sogleich einen bitterbösen Blick.
»Faul und nutzlos«, murmelte Gimu, schlug seine Faust gegen einen Balken und stapfte schnaubend davon. Nikkos gelegentlicher Pflicht, dem alten Thorodos zur Hand zu gehen, hatte Gimu nichts entgegenzusetzen. Aus unbekannten Gründen galt dieser Dienst dem Großvater als wichtig. Dessen Wort war auf dem Hof jedoch Gesetz.
Der blonde Junge mit den großen blauen Augen konnte sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen. Von den vielen ungeliebten Geschwistern konnte er Gimu immerhin am wenigsten leiden. Ein großer bulliger Kerl mit lauter Stimme, der sich meist aufführte, als unterstünde ihm der ganze Hof.
Nun musste er nur noch einen Weg aus der spontanen Lüge finden. Sollte Gimu nämlich herausfinden, dass er gelogen hatte, dann würde es wohl wieder großen Ärger geben. Nikko kam ja schon jetzt nicht gut mit seiner Familie aus. Schließlich war er schwächlich, dazu oft krank und für sein Alter auch noch viel zu klein. Keine guten Voraussetzungen für das harte Leben in den Bergen, wo man nur Leute brauchte, die richtig zupacken konnten. Für seine vielen Geschwister war er nur der Schwächling und ein Faulpelz obendrein.
Sich auf dem großen Hof der Familie zu verstecken, schien zu gefährlich. Immerhin hatte man ihn dort bisher noch immer gefunden. Draußen war es aber noch zu kalt. Da erschien es ihm am besten, dem alten Thorodos tatsächlich einen unangemeldeten Besuch abzustatten.
Seit bald zwei Jahren war er dem alten Mann nun schon behilflich. Meist musste er putzen oder aufräumen, seltener Besorgungen erledigen. Alles in allem keine besonders angenehme Pflicht, zumal der Alte oft übelster Laune war. Dennoch hatte Nikko die Zeit bei Thorodos immer genossen. Der alte Kauz war einfach anders, als alle anderen im Dorf.
Ein wenig später dann an diesem Tage machte sich Nikko auf den Weg zur Hütte des Alten, die nur wenige Minuten vom Hof der Familie entfernt lag. Dessen kleine Behausung unterschied sich von den Berghöfen des Dorfs allein schon dadurch, dass sie vollständig aus Holz gefertigt war und auch nur ein Geschoss besaß. Zu welchem Zweck das Gebäude einst errichtet worden war, wusste er nicht. Im Dorf jedenfalls gab es kein ähnliches.
Die Höfe Vyldoros hatten sonst immer den gleichen Aufbau. Das Haupthaus, wo die Familien wohnten, besaß ein steinernes Untergeschoss, aus Felsbrocken von Lehm und Dung so schlecht zusammengehalten, dass man die Wände ständig ausbessern musste, vor allem nach den harten Wintern. Darauf saß ein Obergeschoss aus Fichtenholz zusammengezimmert, gekrönt von einem krummen Schieferdach.
Als Nikko schließlich an der Hütte des Alten ankam, klopfte er leise. Eigentlich hätte er ja heute nicht vorbeikommen sollen und konnte ohnehin nie sicher sein, in welcher Laune er den alten Kauz vorfinden würde. Wie fast immer jedoch reagierte niemand auf das Klopfen und der Junge öffnete behutsam die Tür, um leise einzutreten und sich umzuschauen.
Die Behausung war zwar nicht sehr groß, dafür allerdings mit erstaunlich
Weitere Kostenlose Bücher