Die Pfade des Schicksals
erkannt hatten, die die Zeit überspannten: Wahrheiten, die ihnen nun ermöglichten, zukünftige Ereignisse vorauszusagen. Sie erkannten klar, wohin ihr Dienst bei dem Verächter sie letztlich führen würde - und was sie würden tun müssen, um Lord Fouls Zorn zu entgehen.
Sie zögerten. Jahrhundertelang grübelten sie darüber nach, woher sie kamen, was sie waren und was sie vielleicht sein wollten. Und irgendwann gelangten sie zu neuen Schlussfolgerungen. Das Ergebnis war, dass sie nach eifrigem Studium in mühseliger Arbeit Hohl erschufen.
Hohl und Handschellen.
Aber während die Schwertmainnir, die Linden und ihre Gefährten trugen, den Wegwahrern folgten, sank Covenant noch tiefer. Andere Erinnerungen ließen ihn die Urbösen vergessen.
In einer anderen Spalte betrachtete Covenant ein Bild, das nicht existierte, das niemals existiert hatte - außer als Symbol oder Metapher für eine unaussprechlichere tiefere Wahrheit. Das Bild einer jungen Frau. Einer jungen Frau frisch von Liebreiz und Selbstfindung. Einer Frau, die von neuer Leidenschaft sprühte, die bereit war, die Bewunderung, die ihr ganzes Leben definieren würde, zu gewähren und zu empfangen. In seinen Augen war sie der Grund dafür, dass Männer und Frauen die Liebe entdeckten; die Ursache jedes gesunden, heiligen Begehrens.
Als er sie studierte, sah er, wie sie betrogen wurde.
Ihre Geschichte war mit der von Diassomer Mininderain identisch: verführt und belogen; der Finsternis überlassen. Als die Erde erschaffen wurde, war sie erniedrigt worden; als der Bogen der Zeit errichtet wurde, war sie eingesperrt worden. Sie war Mininderain und Emereau Vrai und die Auriferenz und Dutzende oder Hunderte weiterer Frauen. Indirekt war sie auch Lena und Joan. Letztlich verkörperte sie die Geschichte jeder Liebenden, die jemals benutzt oder missbraucht und weggeworfen worden war.
Die Geschichte von Ihr, die nicht genannt werden darf. Von ihrer Not zutiefst bewegt sah Covenant zu, wie sie aus dem Flammenmeer aufstieg, und verstand, dass hinter ihrer erschreckenden Bösartigkeit und Gier eine grundlegende verzweifelte Wehklage lag: die alles verzehrende Trauer eines Herzens, das keine andere Antwort auf absoluten Verrat wusste.
Vielleicht aus Absicht - vielleicht aus Grausamkeit - hatte Esmer ihn an diesen Ort inmitten seiner chaotischen Erinnerungen geschickt. Sie hätten kostbar für ihn sein können, wenn er nach ihnen hätte handeln können. Aber sie gehörten zur Vergangenheit, die er nicht mehr ändern konnte.
Auch Covenant verlor sich in Erinnerungen an Liebe und Verlust.
Trotzdem wusste er weiter genau, was um ihn herum vorging. Er sah und hörte und fühlte; er nahm so großen Anteil, dass die Not seiner Gefährten ihm das Herz zerriss. Vor allem verstand er, auch wenn das nichts nützte, Lindens lange Leidensgeschichte. Er beobachtete, welche Wirkung es auf sie gehabt hatte, ihren Sohn zu finden und den Jungen nicht von dem Croyel befreien zu können. Er sah die Aussichtslosigkeit ihres Entschlusses, aus der Verlorenen Tiefe zu flüchten. Als sie die Kraft gefunden hatte, seine Hände zu behandeln, war er fast schmerzhaft stolz auf sie gewesen. Und als sie von der Brücke in den Abgrund gestürzt war, war die Sinnlosigkeit seines Wunsches, ihr nachzuspringen, eine Qual gewesen. Mit dem sagenhaften Urteilsvermögen eines Gespensts hatte er die Folgen ihres Sturzes in Höllenqualen bedacht. Die Verzweiflung, die ihren nachlassenden Verstand erfasste, sich von ihm nährte, hatte er erlebt, als hätte sie seine sein sollen.
Trotzdem hatte sie nicht aufgegeben, sondern verbissen weitergekämpft. Als ihre Entschlusskraft, die der Kern ihres Wesens war, zuletzt versagt hatte, hatte er vor allem Erleichterung für sie empfunden. Später, falls sie überlebte, würde sie das Schlimmste von sich denken. Im Augenblick hatte sie jedoch gewisse Ablenkung von ihren Qualen gefunden.
Aber sie würde wahrscheinlich nicht überleben. Sie und Covenant und alle ihre Gefährten hatten den Tod vor Augen.
Sein eigenes Hinscheiden erschien ihm nicht sehr bedauerlich.
Linden überschätzte ihn. Aber die anderen … Aus Gründen, an die er sich nicht mehr erinnern konnte, waren Linden und Jeremiah für das Land wichtig. Seine Zukunft hing auch von Liand und Anele ab. Mähnenhüter Mahrtür und seine Seilträger wurden dringend gebraucht. Ohne Stave und die Meister und die Riesinnen gab es keine Hoffnung. Covenant rechnete auch den Eifrigen mit, der als Einziger
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