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Die Pfade des Schicksals

Die Pfade des Schicksals

Titel: Die Pfade des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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hinabschlängelte, ging sie plötzlich von innen her in Flammen auf. Etwa auf halbem Weg wurde sie von einer schwarzen Feuersbrunst erfasst, die sie hungrig verzehrte. Im nächsten Augenblick begann sie zu implodieren.
    Der gewaltige Sog der Implosion hätte Linden fast von Hyn gerissen. Aber sie hörte nicht auf, die Zäsur in Flammen zu hüllen, und wiederholte weiter im Stillen die Sieben Worte, bis der letzte Rest ihrer Gewalt verbrannt war.
    Erst dann ließ sie innerlich taumelnd ihren Feuerstrom abklingen. Himmel, das war knapp gewesen … Zu knapp.
    »Stave«, keuchte sie. »Verdammt noch mal, Stave. Was hast du gemacht? Warum hast du Jeremiah nicht…?«
    Stave sah sie nicht einmal an. Mit ausdrucksloser Stimme sagte er: »Kümmere dich um deinen Sohn, Auserwählte. Du hast von solchen Dingen gesprochen.«
    Noch immer taumelnd, konzentrierte sie ihre Aufmerksamkeit auf Jeremiah.
    Der Junge stand am Rand des Knochenhaufens und betrachtete ihn, als wäre nichts geschehen. Er kehrte seiner Mutter den Rücken zu. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, aber sie spürte Andeutungen von Erdkraft, die von seinen Schultern und Armen ausgingen: Erdkraft und Geistesabwesenheit - dieselbe Leere, die Linden kannte, seit sie seine Halbhand vor zehn Jahren aus Lord Fouls Feuer gerettet hatte.
    Jeremiah machte sich daran, einzelne Knochen aus dem Haufen zu ziehen, sie zu begutachten und neben sich abzulegen.
    Bei diesem Anblick war Lindens Verstand wie gelähmt.
    Sie konnte weder denken noch fühlen, sie konnte nicht einmal reagieren. Die Lähmung ließ ihre private Welt zum Stillstand kommen. Wörter schienen ihr wie Sternschnuppen durch den Kopf zu gehen und zu erlöschen, als wäre jegliche Form von Sprache unverständlich geworden. Sie konnte nicht ausdrücken, was sie sah.
    Er hatte schon fünf Knochen ausgewählt, nein sechs. Zwei hatten unweltliche Formen, schienen aber intakt zu sein. Einer erinnerte an den Mittelfußknochen eines Wesens, neben dem ein Riese zwergenhaft erschienen wäre. Die anderen fünf schienen Zehenglieder in verschiedenen Größen zu sein. Jetzt griff er nach einem Knochen, den Linden für einen riesigen Oberschenkelknochen hielt.
    Der Knochen war an einem Ende offenbar gebrochen. Trotzdem hätte er für Jeremiah viel zu schwer sein müssen. Aber Äonen in der Sonnenhitze hatten seine Substanz ausgelaugt, oder er war hohl wie ein Vogelknochen … oder Jeremiah besaß jetzt übermenschliche Kräfte. Er nahm den Knochen ohne erkennbare Anstrengung von dem Haufen, wog ihn prüfend in den Händen und legte ihn dann sorgfältig ab, als wäre es wichtig, ihn genau zu platzieren.
    Jeremiah …
    Weiter kam Linden auch diesmal nicht.
    Er machte einen Schritt zur Seite, studierte weiter den Haufen. Wenig später fand er zwei weitere Knochen, die wie lange Kerzen aussahen, die in der Mitte erhitzt und zu unsinnigen Formen verdreht worden waren. Als Nächstes suchte er weitere Zehenglieder, noch einen Mittelfußknochen und einen massiven Klumpen wie ein Sprungbein heraus. Aus dem reichhaltigen Gewirr zog er einen weiteren Oberschenkelknochen, der zu dem ersten passte. Diesen legte er mit einem großen Schritt Abstand genau parallel zu dem ersten aus.
    Jeremiah …
    Mit demselben stetigen Mangel an Ungeduld oder Zweifel, der in seinem früheren Leben für seine Arbeit mit Legosteinen oder Tinkertoys charakteristisch gewesen war, suchte er weitere Knochen heraus. Manche fand er ganz in der Nähe. Andere entdeckte er im Inneren des Haufens versteckt. Dutzende von Zehengliedern. Fünf weitere Oberschenkelknochen, einer davon ganz, die viel zu schwer für ihn hätten seien müssen. Eine Anzahl von Mittelfußknochen. Und während er seine Auswahl vergrößerte, wurde sie auch vielseitiger: Würfelbeine und Fußwurzelknochen; mehrere Schulterblätter, die Titanen gehört haben mussten; Gelenke mit Gelenkköpfen von der Größe von Lindens oder Staves Kopf. Sie alle legte er sich am freien Rand des Knochenhaufens zurecht wie ein Handwerker, der sein Material bereitlegt.
    Als er zufrieden war, beugte er sich über seine Knochensammlung und machte sich daran, weitere Knochen auf ihnen zu stapeln, als sollten sie als Fundamente dienen, als errichte er Wände.
    Jeremiah baute.
    Das ist ein angeborenes Talent. Roger hatte gewohnheitsmäßig gelogen, aber in Bezug auf Jeremiah hatte er die Wahrheit gesagt. Die richtigen Formen können Welten verändern. Sie sind wie Wörter.
    Linden kämpfte gegen ihre Lähmung an, bis sie

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